Ehrlich währt bekanntlich am längsten, und diesbezüglich handhabt es der deutsche Lebensmitteleinzelhandel selbstverständlich ganz genauso wie seine Kundschaft, was wiederum dem EHI Retail Institute vor drei Jahren ein bestaunenswertes Ergebnis seiner Umfrage zum Problem der Diebstahlanfälligkeit von Selbstscan-Systemen im Handel bescherte.
Kurz gesagt: Es gibt keins.
Ja, sicher: „unehrlicher Kundschaft“ böten SB-Kassen und vergleichbare Technologien „möglicherweise größere Anreize zum Diebstahl als bediente Kassen“, führte man beim EHI aus. Sicherheitssysteme und aufmerksames Personal könnten jedoch Schlimmeres verhindern:
„85 Prozent der befragten Unternehmen haben angegeben, keine erhöhten Inventurdifferenzen in ihren Märkten mit Self-Checkout-Lösungen festzustellen. Ladendiebstähle an SCO-Kassen fallen dementsprechend nicht wesentlich höher aus als an bedienten Kassen.“
So genannte „Re-Scans“ bei mobilen Self-Checkout-Lösungen (zufällige Stichproben, ob einzelne Produkte im Warenkorb richtig erfasst wurden), würden zudem „relativ selten durchgeführt“. Dies sei ebenfalls Indiz für eine „niedrige Diebstahlquote“.
Verluste nehmen zu
Und abgesehen davon, dass wir hier nochmal über Ursache und Wirkung sprechen müssten, ist das natürlich höchst interessant. Weil es so ziemlich dem Gegenteil der Erfahrungen entspricht, die internationale Handelsunternehmen sowie Branchenbeobachter:innen gemacht und der einschlägigen Forschung mitgeteilt haben.
In ihrer „Global Study on Self-checkout in Retail“ bilanzierte die ECR-Loss-Prevention-Initiatve 2022 u.a. folgende Angaben der teilnehmenden Unternehmen:
„Respondents estimated that SCO [Self-checkout] systems accounted for as much as 23% of their total unknown store losses, with malicious losses representing 48%. Two-thirds of respondents were of the view that the problem of SCO-related losses was becoming more of a problem in their businesses (66%).“
Und als die Kolleg:innen der britischen IGD Retail Analysis in diesem Frühjahr von der Euroshop-Messe in Düsseldorf heimkehrten, fasste einer ihrer Analysten zusammen (Registrierung erforderlich):
„To cut costs retailers have been stripping out resource at the checkouts and introducing more self-service options for shoppers. This has led to inventory inaccuracy, which impacts product availability, and shrinkage becoming major issues.“
Ist Warenschwund beim Selbstscannen möglicherweise doch ein Problem?
Da reden wir lieber nicht drüber
Neue Technologien helfen zunehmend dabei, das in den Griff zu kriegen. Der deutsche Lebensmitteleinzelhandel scheint sich allerdings dafür entschieden zu haben, das Problem auf keinen Fall beim Namen zu nennen, um es von selbst verschwinden zu lassen.
Edeka erklärt, man setzte beim Selbstscannen auf die „Ehrlichkeit“ der Kund:innen und bringe ihnen „Vertrauen“ entgegen; beim Easy-Shopper-Einkaufswagen scheint dieses aber nicht ganz so ausgeprägt zu sein wie behauptet (siehe Supermarktblog).
Aldi Süd hat angekündigt, „in urbanen Räumen“ verstärkt SB-Kassen in seine Filialen zu bauen. Einem Bericht des „Express“ zufolge wurde die Möglichkeit in einer Kölner Filiale aber schon wieder abgeschafft, weil „viel geklaut worden“ sei. Zu einem möglichen Diebstahlproblem wollte sich die Handelskette nicht äußern, erklärte lediglich, es könne dazu kommen, „dass die Geräte in andere Filialen verlegt werden“.
Und dann ist da noch der Wettbewerber Kaufland.
Der testete erstmals 2015 im Zuge seiner Filialmodernisierung, wie SB-Kassen bei der Kundschaft ankommen – und entschied sich nach einer längeren Einführungsphase dazu, bestehende Selbstscan-Zonen umfassend nachzubeschranken (siehe Supermarktblog). Seitdem können Selbstscanner:innen den Kassenbereich nur noch durch eine Ausgangsschranke verlassen, wenn der Barcode auf dem von der Kasse ausgegebenen Papierkassenzettel gescannt wird. (Penny handhabt es inzwischen genauso.)

Kein K-Scan mehr in Düsseldorf
Die „Ausgangsanlagen dienen unter anderem der Sicherheit unserer Kunden, indem sie räumlich das Ende des Einkaufs- und Bezahlvorgangs markieren“, hieß es damals maximal verschwurbelt.
Inzwischen ist Kaufland noch einen Schritt weiter: Seit Ende 2021 testet die Handelskette ihr im Ausland erprobtes Self-Scanning-System K-Scan auch in ausgewählten deutschen Filialen (siehe Supermarktblog), wo registrierte Mitglieder des KCard-Bonusprogramms entweder mit Handscannern oder mit dem eigenen Smartphone ihre Einkäufe scannen können, um sie später an die SB-Kasse zu übertragen.

Bislang ist K-Scan nach Kaufland-Angaben (Stand: März) aber lediglich in „circa 70 Filialen“ (von „rund 150“ mit SB-Kasse und 750 insgesamt in Deutschland) aktiv; in den Kommentaren unter diesem Supermarktblog-Text führt KScan-Experte Tobias ein kleines Kompendium teilnehmender Märkte, weil Kaufland sich bislang selbst nicht im Stande sieht, eine solche Übersicht zu liefern.
Nicht mehr Teil der K-Scan-Liste ist seit einiger Zeit der Kaufland-Markt in Düsseldorf-Friedrichstadt, wo K-Scan Angaben lokaler Nutzer:innen zufolge wegen einer erhöhten Diebstahlquote wieder verschwunden sein könnte. Kaufland will das auf Supermarktblog-Anfrage nicht bestätigen und erklärt, dass man sich „auf Grund der geringen Kundenresonanz für eine Deinstallation entschieden“ habe.
Ups, nochmal gescannt
Warum das ausgerechnet in der Düsseldorfer Innenstadt so sein soll, aber nirgends sonst, erklärt Kaufland nicht. Dass die Unternehmen Diebstahlprobleme zu verschleiern versuchen, um nicht unnötig Aufmerksamkeit auf die Möglichkeit zu lenken, ist aber zumindest nicht unrealistisch.
Ende Mai hab ich K-Scan im bislang einzigen teilnehmenden Berliner Markt (in Spandau) mal ausprobiert. In der Filiale stehen zahlreiche Handscanner gut sichtbar am Eingang bereit; Kaufland verspricht registrierten Nutzer:innen vollmundig:
„Schneller einkaufen, bezahlen und genießen.“

In der Obst- und Gemüseabteilung weisen Schilder am Regal auf den unterschiedlichen Umgang mit Stück- und Wiegeware hin: bei letzterer wird nach dem Abwiegen in der Abteilung der von der Waage ausgegebene Klebe-Barcode gescannt, bei ersterer der Code an der Ware oder am digitalen Preisschild, wofür kurzsichtige Kund:innen aber ganz unbedingt ihre Brille dabeihaben sollten …


… weil für den Mini-Code wirklich kein unnötiger Platz verschwendet wird. (Klappt aber trotzdem.)

Statt eines Handscanners hab ich die Kaufland-App zur Einkaufserfassung genutzt, und das funktioniert – so lange innerhalb der Filiale ausreichender Netzempfang gegeben ist – wirklich unproblematisch und flüssig; so flüssig, dass man angesichts der sehr empfindlich eingestellten Scan-Funktion aufpassen muss, Artikel nicht versehentlich doppelt zu scannen, wenn die mit Barcode nach oben im Einkaufskorb liegen.
Bitte alles nochmal wiegen
Bei einem Artikel scannte die App einen höheren Preis als er am Regal ausgewiesen war; das sollte eigentlich nicht vorkommen.
Die größte Überraschung folgte aber erst beim Einbiegen in die inzwischen vollends vom übrigen Kassenbereich abgeschirmte und rundherum mit burghohen Impulsartikelregalen zugemauerte „Expresskassen“-Zone, in der K-Scan-Nutzer:innen ihre zuvor geleistete Arbeit an eine stationäre Selbstscan-Kasse übertragen müssen, um zahlen zu können: und zwar, indem sie den über dem Bildschirm auf einem Papprahmen angebrachten QR-Code scannen. (Was jetzt eher so mittel-intuitiv ist.)


Der Übertrag erfolgt zwar sekundenschnell und ohne Komplikation; aber währenddessen nähert sich bereits eine Kassenaufsicht mit entschuldigender Stimme, um zu erklären, dass sie heute angewiesen sei, sämtliche Wiegeartikel aller Kund:innen aus den erfassten Einkäufen noch einmal an Ort und Stelle kontrollzuwiegen, um mögliche Abweichungen auszuschließen.
Damit ist es aber noch nicht getan: Anschließend folgt eine zusätzliche Zufallsüberprüfung von drei der von mir selbst gescannten Artikel, die vom System veranlasst worden ist.
Dreimalige Kontrolle, einmalig genervt
Erst dann darf ich bezahlen, um den Barcode auf meinem Kassenbon an die Auslassschranke zu halten – und nach dreimaliger Überprüfung, ob bei meinem Selbstscan-Einkauf auch wirklich alles mit rechten Dingen zugegangen ist, den Laden zu verlassen.
Womit sich nicht nur das ursprüngliche K-Scan-Versprechen vom „schnelleren“ Genuss, in Luft aufgelöst hat – sondern auch meine Lust, dem Kaufland-Personal künftig das Scannen der von mir ausgesuchten Produkte abzunehmen.
Mag ja sein, dass dieser Aufwand nötig ist, um einzelne Kund:innen davon abzuhalten, Waren mitgehen zu lassen, für die zuvor entweder nicht oder zu wenig bezahlt wurde; allen anderen, die ehrlich sind, macht das aber wenig Laune, die angebotenen Technologien bzw. Dienste regelmäßig zu nutzen, zumal das im Zweifel länger dauert als an der regulären Kasse anzustehen.
Und dass der deutsche Lebensmitteleinzelhandel diese Diskrepanz zwischen vollmundigen Versprechen und erlebter Realität nicht zugeben will, ist inzwischen nur noch peinlich.
Vielen Dank an Tobias für den Hinweis und die kontinuierliche K-Scan-Begleitung!
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Der Beitrag Wie Kaufland bei K-Scan seinen Kund:innen misstraut erschien zuerst auf Supermarktblog.