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Gratisartikel und Sofort-Rabatte: Wie dm, Rossmann und Lidl ihre Kund:innen zur App-Nutzung drängen

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Als Amazon 2018 seinen ersten Mini-Supermarkt Amazon Go eröffnete, in dem man nur nach dem Scannen eines App-Codes einkaufen konnte, prognostizierten zahlreiche Kritiker:innen: Das kann so nichts werden. Sie hatten recht. Aber vielleicht wäre die Geschichte anders verlaufen, wenn Amazon fürs Scannen von vornherein Gratisartikel und Sofort-Rabatte zugesagt hätte?

Genau das machen derzeit deutsche Lebensmittel- und Drogerieartikelhändler, die ihre Stammkundschaft mit immer aggressiveren Mitteln zur Nutzung der eigenen Apps drängen.

Wie schon mal vor einem Jahr verspricht dm App-Nutzer:innen gerade für jeden Einkauf, bei dem die App mitgescannt wird, einen zufällig ausgewählten Gratisartikel – den ganzen September über. Dieser wird als Coupon in die App gepusht und kann beim nächsten Mal eingelöst werden.

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Zum Pool der „Gratis-Überraschungen“ gehören dm-Bio-Haferdrinkkonzentrat, Balea Abschminktücher, Dr. Beckmann WC-Reingungsblätter, Rexona Deo, Foodspring Brotaufstrich, Extra Kaugummi, Poliboy Möbelreiniger, Frosch Weichspüler usw. usf. – teilweise im Einzelwert von bis zu sechs Euro.

„Waaaaas“, „Kraaaass“, „Boaaaah“

Um die Aktion zu promoten, hat dm eine Plakatkampagne gestartet, die ebenso aufmerksamkeitsstark wie dämlich ist. Auf City-Light-Postern und Litfasssäulen staunen dm-Kund:innengesichter: „Waaaaas“, „Kraaaass“, „Boaaaah“ und „Jaaaaaa“. Erst druuuunter steht in klein, worum’s eigentlich geht:

„Mit der dm-App nach jedem Einkauf ein Geschenk erhalten.“

(Ich zweifele nicht daran, dass diese Kampagne wirkt – trotzdem ist’s schade um das verpulverte Werbebudget, das sich so viel kreativer hätte einsetzen lassen.)

Ziel dieser Initiative ist (natürlich), eine möglichst große Zahl an Kund:innen zur Registrierung eines Accounts in der dm-App zu bewegen bzw. diejenigen, die sich dort bereits registriert haben, zu einer regelmäßigeren Verwendung zu schubsen – was sonst ja nur notwendig ist, wenn man einen passenden Coupon einzulösen hat.

Aufmerksamkeitsstark und saudämlich: dm wirbt für Gratisartikel in der App; Foto: Smb

Dabei liegt die Nutzungsquote der dm-App, wie die „Lebensmittel Zeitung“ im Frühjahr auswerten ließ, eigentlich schon ziemlich hoch: „85,9 Prozent der dm-Kunden“ nutzten die App des Händlers bereits an der Kasse.

Schaltzentrale für alle Einkäufe

Das dürfte auch daran liegen, dass dm seine App konsequent zur Schaltzentrale aller für den Einkauf relevanten Services gemacht hat – Produktinformationen und -bewertung, Bestellung, Abholung – und mit relevanten Rabatten auf zentrale Artikel oder gleich ganze Sortimente (siehe Supermarktblog) zusätzlich aufzuladen versteht („Dein smarter Einkaufsbegleiter“).

Je intensiver Kund:innen die App für ihre Einkäufe bei dm nutzen, desto besser lernt das Unternehmen sie anhand der dabei erzeugten Datenpunkte in ihrem Einkaufsverhalten kennen – und desto akkurater lassen sich passende Produkt- oder Rabattvorschläge ausspielen, mit denen der nächste Einkauf angestoßen werden kann.

Wozu dann noch Gratisartikel? Die Studie einer Unternehmensberatung, für die im Frühjahr 1.000 Konsument:innen befragt wurden, legt nahe, dass es sich dabei um ein effektives Mittel handelt, der unmittelbaren Konkurrenz Kundschaft abzujagen:

„Bei mehr Gratis-Produkten ist die Hälfte der Kunden bereit zum Wettbewerber zu wechseln.“

Screenshots [M]: dm, Rossmann / Smb

Darf es heute ein gratis WC-Stein sein?

Also: zumindest so lange, bis der Wettbewerber das angemessen abzuwehren versteht – und einfach spiegelt. So verspricht Rossmann aktuell: „Gekauft? Geschenkt! Täglich 1 Geschenk ab 1 Euro Mindesteinkaufswert mit der Rossmann-App sichern.“

Auch in diesem Fall wird der Gratisartikel per App-Coupon ausgespielt. Es gibt Enerbio Tomate-Basilikum-Streichcreme, Eco Freude Spülmittel, Nivea Pflegedusche, Wella Haarspray, Essence Nagellack, Domol WC-Steine, Fa Deospray usw usf.

Anders formuliert: Der deutsche Drogerieartikelhandel investiert gerade heftig in den Aufbau eines relevanten Datenvolumens zum besseren Verständnis seiner regelmäßigen Kundschaft. (Dass die Industrie mitverpflichtet wurde, Gratisartikel zur Verfügung zu stellen, ist zumindest wahrscheinlich.)

Im Bemühen, diese Kund:innen einander streitig zu machen, neutralisiert man sich mit der Parallelaktion aber leichtsinnigerweise selbst.


Auch Lidl scheint die Superkraft der Gratisartikel erkannt zu haben: Nutzerinnen der Lidl-Plus-App erhalten im Spendierhosen-September die Chance, sich im App-integrierten „Bake-off-Roulette“ eine gratis Aufbackware aus dem Brötchenknast zu fischen: vom „Sonnencrusti“ bis zum „Pinky Donut“. Die Einkaufsbelohnung materialisiert sich innerhalb der App in Form eines Glücksrads, an dem virtuell „gedreht“ werden darf, um Zufallsnaturalien zu erspielen. (Diese müssen innerhalb von fünf Tagen im Laden abgeholt werden, um nicht zu verfallen.)

Das „Bake-off-Roulette“ ist zugleich nur eine von vielen Maßnahmen, mit denen der Discounter seine App, der von Marktforscher:innen ebenfalls hohe Nutzungsquoten attestiert werden (außer in der Payback-Studie, in der – oh Wunder! – Payback vorn liegt), massiv zu pushen versucht.

Eine zweite ist die Sofortrabatt-Aktion „Woche für Woche sparen“, bei der Kund:innen, die für mindestens 10 Euro einkaufen, in der ersten Woche 1 Euro Pauschalrabatt an der Kasse erhalten; in der zweiten zwei, in der dritten drei usw. – bis zu einer Höhe von insgesamt 21 Euro im Verlauf von sechs Wochen (19. August bis 28. September).

Ohne App zahlt ihr drauf

Parallel dazu wirbt Lidl plakativ für einzelne Artikel, die Plus-Verwender:innen zum Teil deutlich günstiger erhalten als alle anderen: im Raum Berlin zuletzt u.a. Werder Tomatenketchup zum Lidl-Plus-Preis von 1,49 Euro statt 2,29 Euro (-34%) bzw. regionale Vollmilch von Hemme für 1,11 Euro statt 1,49 Euro (-25%).

Die dazugehörige Kampagne kommt im bekannten Lidl-Vergleichsstil daher: „Du hast die Wahl“ steht darüber, und dann: „Ohne Lidl Plus oder mit Lidl Plus“. (Bislang wurden fast ausschließlich klassische Marken mit Lidl-Eigenmarken bzw. deren Preise auf diese Art verglichen.)

Aktuelle Lidl-Kampagne „Du hast die Wahl“; Foto: Smb

So bemüht sich Lidl ganz offensichtlich, die Nutzungsfrequenz der App zu steigern – nachdem es sich für viele registrierte Nutzer:innen oft nur sehr sporadisch gelohnt haben dürfte, den Plus-QR-Code beim Einkauf zu scannen, weil die ausgespielten Rabatte allenfalls eingeschränkt attraktiv waren. (Die Personalisierung funktioniert – trotz persönlich eingetragener Vorlieben – bislang auch kaum.)

Überschaubarer Nutzen

Die zuvor erwähnte Analyse im „LZ“-Auftrag kam zu dem Schluss, dass sich der konkrete Nutzen von Händler-Apps für die meisten Haushalte eher in Grenzen hält: „Verbraucher mindern durch Bonusprogramme ihre Alltagsausgaben in LEH- und Drogeriemärkten pro Einkauf im Schnitt lediglich um weniger als 1 Prozent.“

Lidl lag dabei im Vergleichstest sogar noch vorn: „mit durchschnittlich 0,99 Prozent Ersparnis auf die Gesamtausgaben pro Einkauf“. Seit kurzem wirbt der Discounter mit der Aussage, man könne mit Lidl Plus „Im Jahr über 1.000 Euro sparen“.

Aber das ist doch vor allem PR-Getöse. Schon der dazu notierte Sternchentext lässt die Luft raus: Die Ersparnis treffe nur „bei Einlösung aller artikelbezogenen Filial-Coupons im Kalenderjahr 2023“ zu, basierend auf „der Einlösung jeweils eines Artikels pro Coupon und angenommenem Gewicht von 1 kg bei Abgabe nach Gewicht“. Ob Lidl auch nur eine:n Kund:in auftreiben könnte, die bzw. der so eingekauft hat?

In jedem Fall scheint der mit Plus zu hebende Datenschatz Lidl so wertvoll, dass man dafür eine dauerhafte Margenabschmelzung nicht scheut (bzw. einen Weg gefunden hat, die Kosten dafür an anderer Stelle wieder reinzuholen).

Screenshots: Lidl

Aldi und Lidl im Punktewettstreit

In der Schweiz ist der Discounter gerade dazu übergegangen, seinen monatlich neu angelaufenen Lidl-Plus-„Rabattsammler“ durch ein neues Bonuspunkte-System zu ersetzen, welches die Vergabe virtueller Punkte an den jeweiligen Einkaufswert koppelt (ein Lidl-Punkt für 1 CHF Warenwert). Gesammelte Punkte können nachher in Rabatte oder Belohnungen umgewandelt werden – ganz so, wie es Konkurrent Aldi Nord mit seinem neuen Bonussystem „Aldi Points“ in Belgien vormacht (siehe Supermarktblog).

Screenshot. Lidl.ch

Die Frage ist, welcher Discounter die länderübergreifende Einführung dieser Bonus-Systematik nun zügiger umsetzt.

Und natürlich, ob die Stammkund:innen, die einst die Einfachheit des Discount-Versprechens zu schätzen wussten, den Weg wie erhofft mitgehen. Denn die Initiative könnte genauso gut eine gegenteilige Wirkung haben: Wenn Kund:innen sich etwa fragen, warum sie sich neuerdings dazu zwingen lassen sollen, mit App einzukaufen, um beim Preis für Aktionsware nicht benachteiligt zu werden.

Strafmaßnahme fürs Nichtscannen?

Wenn Aldi, Lidl & Co. es etablieren, dass das Nichtscannen der jeweiligen App quasi mit Strafmaßnahmen belegt wird (in diesem Fall: dem Zahlen des regulären, höheren Preises für ein Produkt), könnte das dauerhaft Auswirkungen auf die Preiswahrnehmung der Handelsketten haben – in welchem Ausmaß ist noch nicht klar.

So besteht durchaus die Möglichkeit, dass die Discounter zwar einen Teil ihrer Kundschaft dank der Apps deutlich besser kennen- und verstehenlernen; dafür aber im Zweifel einen anderen verlieren, wenn der das Gefühl vermittelt kriegt, klassische Marken genausogut anderswo zum regulären Preis einkaufen zu können.

Die App-Drängelei im deutschen Lebensmittel- und Drogertieartikel ist ein einziger großer Balance-Akt. Mal sehen, wem es dabei am besten gelingt, das Gleichgewicht zu halten, ohne abzustürzen.

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Der Beitrag Gratisartikel und Sofort-Rabatte: Wie dm, Rossmann und Lidl ihre Kund:innen zur App-Nutzung drängen erschien zuerst auf Supermarktblog.


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