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Steuert Migros Tegut in die Profitabilität – oder in die Sackgasse?

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Bereits die erste Zeile las sich wie eine Strafmaßnahme für ein ungehorsames Kind, das einem immer bloß auf der Tasche liegt: „Aufgrund der unzureichenden Ergebnisentwicklung hat die Genossenschaft Migros Zürich für tegut… umfassende Sanierungsmassnahmen beschlossen“, hieß es in einer Mitte November verschickten Pressemitteilung des Eigentümers Migros Zürich, die für die Tochter aus Fulda eine neue Ära einläutete.

In den kommenden Monaten soll sich bei Tegut nun einiges ändern: 120 von 600 Vollzeitstellen in Verwaltung und Logistik werden gestrichen; für rund zehn Prozent der Filialen sucht man neue Betreiber.

Laut „Lebensmittel Zeitung“ könnten dabei vor allem die süddeutschen Standorte im Fokus stehen: „Bei den Einschnitten im Filialportfolio zeichnet sich ab, dass die Präsenz im Süden zur Disposition steht. Das wird aus dem Umfeld des Unternehmens berichtet.“

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Die ehemaligen Basic-Biomärkte in München, die Tegut vor gerade mal einem Jahr übernommen und ab Januar 2024 umgeflaggt hatte, würden dann womöglich schon wieder abgegeben.

Eine deutliche Zäsur

Der Strategieschwenk kommt nicht völlig unerwartet. Bereits seit Monaten kursiert die Vermutung, Migros Zürich wolle bei Tegut stärker durchgreifen. Trotzdem überrascht das Ausmaß.

Noch vor kurzem hatte der langjährige Tegut-Chef Thomas Gutberlet, Enkel des Gründers der Handelskette, darauf gepocht, dass sich Tegut als „Teil der Kernstrategie“ von Migros Zürich für die Zukunft „sehr gut aufgestellt“ sehe. Inzwischen ist klar: Diese Zukunft ist eine ohne Gutberlet, der das Unternehmen seit 2009 geführt hatte, auch nach dem Verkauf an Migros in seiner Position blieb, Gesicht der Firma war – und nun mit sofortiger Wirkung sämtliche Verantwortlichkeiten abgegeben hat.

„Für mich heißt es nach 27 Jahren aktiver Tätigkeit in der Führung und einer in der Realität viel längeren Zugehörigkeit und familiären Verbundenheit, sich von der Arbeitsgemeinschaft tegut… auch innerlich zu trennen. Das ist eine deutliche biografische Zäsur“, schreibt Gutberlet auf Instagram.

Für Tegut gilt das aber genauso.

In Zürich entscheidet sich, wie es mit Tegut weitergeht; Foto: Migros Zürich

Ultimatum von der Mutter

Mit Gutberlet geht ein Manager, der das besondere Tegut-Konzept mit starker Bio-Orientierung und nachhaltiger Sortimentsgestaltung verkörperte und vorantrieb wie kein anderer. Seinem Nachfolge ist auf mehrere Schultern verteilt, u.a. hat Migros Sven Kispalko als Chief Restructuring Officer (CRO) von Zürich nach Fulda geschickt – ein klares Signal für den Paradigmenwechsel, der nun folgt. Denn unter dem seit Juli amtierenden neuen Migros-Zürich-Chef Patrik Pörtig weht ein anderer Wind.

Patrik Pörtig; Foto: Migros Zürich

Tegut müsse 2025 eine „signifikante Verbesserung“ zeigen und bis Ende 2026 schwarze Zahlen schreiben, setzte Pörtig der deutschen Tochter im „NZZ“-Interview (Abo-Text) gerade ein Ultimatum. „Wenn wir das erreichen, hat das Unternehmen in der Migros eine Zukunft – sonst nicht.“ Eine Kommunikation, die bei den Mitarbeiter:innen vor allem eines bewirken dürfte: die prophylaktische Suche nach neuen Arbeitgebern.

Ist ein derart harter Sanierungskurs notwendig, um Tegut zu retten, und wurde er vorher zu lange verschleppt? Oder machen die Schweizer:innen einen Fehler, der sie am Ende teurer zu stehen kommen könnte als das Durchhalten der bisherigen Expansionsstrategie?

München wäre ideal für die Tegut-Expansion

Auf den ersten Blick erscheint die Sanierungslogik schlüssig: Obwohl auch in den vergangenen Jahren stetig Tegut-Filialen geschlossen wurden, die nicht mehr profitabel betrieben werden konnten, gibt man nun weitere Märkte ab, deren Betrieb sich angeblich nicht mehr rentiert. (Also: außer offensichtlich für Wettbewerber wie Edeka und Rewe, denen Interesse an mehreren Standorten nachgesagt wird.)

Der Betrieb des innovativen Teo-Konzepts ist derweil weitgehend auf die neu gegründete Tochter Smart Retail Solutions ausgelagert worden, die seit kurzem auch die Verarbeitung der Kund:innendaten verantwortet und sich um Franchise-Partnerschaften bemühen soll.

Aber: Die Integration der 19 übernommenen Basic-Märkte kostet Geld, die Logistik zur Belieferung der Münchener Standorte ist aufwendig, die Zentralkosten sind zu hoch. Warum also nicht radikal kürzen und sich aufs profitable Kerngebiet konzentrieren?

Bei genauerem Hinsehen offenbart sich allerdings ein Widerspruch. Denn wenn Migros Tegut aus Süddeutschland zurückpfiffe, wie die „LZ“ vermutet, würde man damit gleich mehrere strategische Investitionen entwerten:

  • Erstens: die Basic-Übernahme selbst. Die Kosten für die Integration der Läden wären weitgehend verloren.
  • Zweitens: das neu gebaute Logistikzentrum. Es wurde auch für künftiges Wachstum dimensioniert – Wachstum, das dann erstmal ausbliebe. Die Auslastung würde schwieriger, die Stückkosten stiegen.
  • Drittens, und das wiegt vielleicht am schwersten: München verfügt über exakt die kaufkräftige, Bio-affine Kundschaft, die das Tegut-Konzept braucht. Die übernommenen Basic-Standorte böten die kritische Masse für weiteres Wachstum. Tegut würde einen der aussichtsreichsten deutschen Lebensmittelmärkte aufgeben.

Gleichzeitig Günstig und Bio

Pörtig scheint das anders zu sehen: Das Wachstum in der Corona-Zeit hätte „falsche Erwartungen geweckt“. Mit seiner „relativ hohen Positionierung und einem Sortiment mit knapp 30 Prozent Bio-Anteil“ sei die derzeitige Marktsituation „noch anspruchsvoller“, sagte der Migros-Zürich-Chef der „NZZ“ – und begreift die Bio-Orientierung offensichtlich eher als Manko.

Unstrittig ist, dass viele Konsument:innen angesichts steigender Inflation mit ihren Budgets zuletzt stärker gehaushaltet und versucht haben, Lebensmittel günstiger einzukaufen. Das hat es in erster Linie dem Bio-Handel schwer gemacht; auch bei Tegut stagnierte der Bio-Anteil zuletzt, 2023 lag er mit 27,9 Prozent leicht unter Vorjahresniveau.

Inzwischen ändern sich die Voraussetzungen aber wieder: Der Bio-Fachhandel gewinnt Kundschaft zurück. Und im konventionellen Lebensmitteleinzelhandel geht der Bio-Anteil durch die Decke. Viele Kund:innen wollen gleichzeitig günstig und Bio einkaufen.

Migros saniert lieber kurzatmig

Tegut befindet sich dafür eigentlich in einer guten Ausgangssituation, bietet spätestens seit dem Start von „Tegut Bio zum kleinen Preis“ Bio-Ware in allen Preisstufen an – und das mit einer Auswahl, wie sie in anderen Supermärkten (noch) nicht vorhanden ist. Eigentlich müsste die Handelskette vor allem bei der Entwicklung einer konsistenten Strategie im Preiseinstieg unterstützt werden (der aktuell von der mäßig attraktiven Markant-Marke „Jeden Tag“ abgedeckt wird).

Auch, dass man sich in Fulda mit dem wenig überzeugenden Convenience-Markt-Konzept „Tegut Quartier“ – in mehrfacher Hinsicht – verzettelt hat (siehe Supermarktblog), ließe sich korrigieren.

Aber um nachhaltige Umsatzerfolge erzielen zu können, bräuchte Migros Zürich vermutlich noch einen längeren Atem. Den Pörtig, der sich gerade als Aufräumer in der Gruppe positioniert und alles aussortiert, was nicht niet- und nagelfest ist, offensichtlich nicht mehr haben möchte.

Ein Rückzug, viele Nachteile?

Bloß mal angenommen, das hätte einen Tegut-Rückzug aus der Expansionsregion Süddeutschland zur Folge – wie fielen die Konsequenzen aus?

Die Einkaufsmacht der Handelskette würde sich verringern. Tegut kauft seine Waren zwar zu einem Großteil über die RTG Retail Trade Group ein, eine Einkaufskooperation mittelständischer Händler, zu der auch Bartels-Langness, Bünting und Globus gehören. Aber jede Filialschließung schwächt die eigene Position in und für den Verbund.

Die Logistikkosten pro Filiale steigen. Das neue Zentrallager muss refinanziert werden, aber mit weniger Standorten – und weniger Möglichkeiten, die Fixkosten zu verteilen.

Der Marktzugang nach Süddeutschland wäre womöglich dauerhaft verbaut. „Wenn der Wettbewerber einen guten Job macht, dann müssen wir es eben besser machen“, sagte der damalige Tegut-Expansionschef noch 2014 kämpferisch zur „FAZ“, als gerade Rhein-Main (erfolgreich) aufgerollt wurde und der Süden schon mal auf der Agenda stand, nachdem man sich – Ironie des Schicksals – zuvor mit der Integration der von Tengelmann übernommenen Standorte verhoben hatte. Ein Rückzug würde einen dritten Anlauf praktisch unmöglich machen. Die Vermieter der Münchener Märkte suchten bereits „den Kontakt zu Edeka und Rewe, um Anschlussmietverträge zu schließen“, berichtet die „LZ“.

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Ein langfristiger Wertverlust?

Vor allem aber: Migros würde sich selbst der Chance berauben, aus Tegut einen überregional agierende Handelskette zu entwickeln, die den vier marktbeherrschenden Unternehmen mit einem starken Partner im Rücken ernsthaft etwas entgegensetzen könnte.

Tegut verfolgte den Bio-Fokus schon, als andere noch zögerten. Jetzt, wo der Trend zum bewussten Konsum unbestreitbar ist, ausgerechnet den kaufkräftigsten Markt aufzugeben – das könnte ein kostspielige Kurzschlussreaktion sein.

In Frankfurt und München hat Tegut die Basic-Bio-Märkte übernommen; Foto [M]: Smb, Logo: Tegut

Fest steht: Die neue Migros-Führung ist dazu entschlossen, Tegut mit harten Einschnitten in die schwarzen Zahlen bringen. Das ist nachvollziehbar. Aber vielleicht sollte man in Fulda und Zürich noch einmal genau rechnen – nicht nur die kurzfristigen Sanierungskosten, sondern auch den langfristigen Wertverlust durch einen überhasteten Rückzug, der Tegut auf längere Zeit auf die eigene Stammregion beschränken würde.

Profitabel? Vielleicht. Aber auch ohne echte Möglichkeit, zu wachsen und die lange vorausgesehene Umkehr im Verhalten vieler Konsument:innen sprichwörtlich gewinnbringend für sich zu nutzen.

Migros in der Zwickmühle

Die Beispiele Real und Kaiser’s Tengelmann haben eindrücklich gezeigt: Teilrückzüge bergen die Gefahr, der Anfang vom Ende zu sein. Wer einmal wichtige Standorte aufgibt, bekommt selten eine zweite Chance. Schlimmstenfalls könnte ein Rückzug aus Süddeutschland für Tegut mehr sein als nur eine verpasste Expansion: der Weg in die dauerhafte Provinzialisierung, durch die man langfristig noch viel mehr unter Druck käme.

Tegut-Markt im hessischen Darmstadt; Foto: Smb

Unter selbigem scheint zweifellos auch die Pörtig zu stehen. Die Versuchung ist groß, durch harte Einschnitte schnelle Erfolge zu erzielen. Das scheint auch Ex-Tegut-Chef Gutberlet unterschätzt zu haben, als er noch vor wenigen Wochen bekräftigte: „Das ist alles sehr langfristig organisiert. Die Migros ist langfristig orientiert.“

Manchmal aber ist der vermeintlich sichere Weg der riskantere. Mehr noch: Wenn Pörtigs Strategie nicht aufgehen sollte und Tegut das gestellte Ultimatum nicht einhalten kann – was dann? Dann blieben Migros kaum Möglichkeiten, sich ohne weitreichende Verluste von der Tochter zu trennen.

Eine Komplettübernahme dürfte angesichts des bereits hoch konzentrierten Markts im deutschen LEH unmöglich sein – zumindest für alle Handelsketten, die das stemmen könnten. Eine Aufteilung der verbliebenen Standorte wäre mühsam, würde Ressourcen binden und könnte Zürich ebenfalls massive Verluste bescheren.

Eine Investition in die Zukunft

Es ist ein Drahtseilakt für Migros: Die Tegut-Sanierung soll schnell gehen, darf deswegen aber nicht den Kern des Formats beschädigen; sonst beschädigt sich Zürich damit auch ein Stück weit selbst.

Dabei gäbe es durchaus Alternativen: Tegut bräuchte die Chance, die Basic-Integration zu Ende führen. Die Logistik für den Süden müsste optimiert werden, möglicherweise ja durch Partnerschaften. Die Sortimentsstruktur zwischen Bio und konventionell ließe sich neu justieren, die Positionierung im Preiseinstieg mit den Kompetenzen der Mutter schärfen.

Das würde Geld kosten und Geduld erfordern. Aber es wäre eine Investition in die Zukunft, die selbst im sparsamen deutschen LEH immer stärker in Richtung Bio tendiert – und nicht deren Demontage.

„Tegut hat noch eine letzte Chance“, sagt Pörtig in der „NZZ“. Die Frage ist nur: Wofür nutzt man sie? Für einen geordneten Rückzug? Oder für den Versuch, aus der Bio-Pionierrolle endlich auch wirtschaftlich Kapital zu schlagen. In einem Markt, der dafür reif zu sein scheint.

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Der Beitrag Steuert Migros Tegut in die Profitabilität – oder in die Sackgasse? erschien zuerst auf Supermarktblog.


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