![Zentrale der Migros-Genossenschaft Zürich]()
Seit Anfang des Jahres gehört die hessische Supermarktkette Tegut zu Migros, dem größten Lebensmittelhändler der Schweiz (siehe dazu auch Supermarktblog vom Oktober 2012). Der will nach eigenen Auskünften einen zweistelligen Millionenbetrag in das Fuldaer Unternehmen investieren. Dort bleibt Thomas Gutberlet zwar Geschäftsführer, die Schweizer Eigenmarkenspezialisten bestimmen aber die grundlegende Ausrichtung von Tegut.
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Das Supermarktblog hat sich mit Jörg Blunschi, dem Geschäftsleiter der Migros-Genossenschaft Zürich, darüber unterhalten, warum trotz der geplanten Expansion Läden geschlossen werden, wo neue Filialen eröffnen sollen und wie Migros dafür sorgen will, dass Tegut im Wettbewerb bestehen kann.
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Supermarktblog: Herr Blunschi, im deutschen Lebensmittelhandel sind schon viele ausländische Unternehmen gescheitert. Warum sind Sie zuversichtlich, dass es Migros mit Tegut anders gehen wird?
Jörg Blunschi: Deutschland ist ein äußerst kompetitiver Markt. Deshalb ist es besonders schwer, sich als neuer Anbieter zu etablieren. Unter dem Namen Migros hätten wir einen solchen Schritt in diesem Umfang sicher nicht gewagt. Sie müssen aber unterscheiden zwischen einer Neugründung und der Fortführung einer sehr bekannten Kette. Genau deshalb sagen wir ja: Tegut wird Tegut bleiben. Wir wollen gemeinsam mit dem Management in Fulda das Profil schärfen, um zu wachsen. Die Werte, die Tegut seit Jahrzehnten vertritt, passen sehr gut zu Migros. Und im Schweizer Lebensmittelmarkt ist unser Marktanteil so hoch, dass es schwierig ist, noch Wachstum zu erzielen.
Sie wollen Tegut aus den roten Zahlen herausholen. Wo lagen aus Ihrer Sicht in den vergangenen Jahren die Schwachpunkte?
Blunschi: Für ein Unternehmen mit einer Größe wie Tegut ist es sicher schwierig, in einem so dynamischen Markt mitzuhalten, weil Sie Ihre knappen Ressourcen ständig aufteilen müssen. Tegut hat zuletzt stark in seine Produktionsbetriebe investiert. Der Rhythmus, in dem zugleich das Ladennetz hätte erneuert werden müssen, war deshalb zu langsam. Bei ihrer Weiterentwicklung haben Edeka und Rewe in den vergangenen Jahren ein extremes Tempo vorgelegt. Da konnte Tegut nicht mithalten.
![Migros-Zürich-Geschäftsführer Jörg Blunschi]()
Migros hat angekündigt, das zu ändern. Sie haben, knapp zusammengefasst, gesagt: Raus aus Thüringen, rein in die Ballungsgebiete. Richtig?
Blunschi: Ich sage nicht, dass Tegut sich aus Thüringen zurückzieht! Bei den kleinen Läden wird es sicher eine Bereinigung geben. Das wird kein Kahlschlag, wir prüfen jedoch auslaufende Mietverträge sehr genau. Tegut soll wachsen. Dazu gehört es auch, sich von Märkten zu trennen, die nicht rentabel zu betreiben sind. Mein Eindruck ist, dass Tegut seine Stärken tatsächlich in den Ballungsgebieten, vor allem Richtung Süden, ausspielen, kann. Es wird ganz sicher neue Märkte in Baden-Württemberg geben. Wir wollen aber auch im bestehenden Wirtschaftsgebiet neue Mietverträge abschließen, wenn es Gelegenheiten gibt.
Um wieviele Läden, die geschlossen werden könnten, geht es denn?
Blunschi: Genaue Zahlen kann ich Ihnen da nicht nennen. Es betrifft aber vor allem die T3-Läden [kleine "nah & gut"-Märkte bis 1200 qm, die derzeit vor allem von Handelsvertretern betrieben werden; Anm. d. Red.].
Die größten Tegut-Konkurrenten sind deutschlandweit aufgestellt. Kommt mittelfristig auch eine Expansion in andere Bundesländer in Frage?
Blunschi: Tegut muss sich fokussieren. Es ist ja Neuland für das Unternehmen, außerhalb des bisherigen 150-Kilometer-Kreises um die Zentrale zu wachsen. Wir müssen erst einmal beweisen, dass das funktioniert und dürfen uns nicht verzetteln. Andere Gebiete stehen für uns derzeit nicht auf der Agenda.
Die Kaufkraft ist der wesentliche Grund dafür, neue Märkte in Ballungsgebieten zu eröffnen. Heißt das, Tegut soll kein Supermarkt für alle sein, sondern nur für die, die es sich leisten können?
Blunschi: Natürlich haben wir eine Hauptzielgruppe. Aber wer das Kaufverhalten der deutschen Kunden kennt, der weiß, dass kein Händler sich davor drücken kann, auch preislich attraktiv zu sein. Kunden, die Wert auf bewussten Konsum und biologisch erzeugte Lebensmittel legen, wollen trotzdem günstige Alternativen geboten bekommen.
Tegut hat seit seiner Gründung viele Bio-Lebensmittel im Angebot. Sie haben angekündigt, “einen ansprechenden Mix, und nicht nur Bio” anbieten zu wollen, und den Bio-Anteil lediglich in absoluten Zahlen halten zu wollen. Steht Tegut die Umwandlung in einen klassischen Supermarkt bevor?
Blunschi: Nein, das nicht. Fakt ist aber: Tegut erzielt pro Quadratmeter Ladenfläche zu wenig Umsatz. Um das zu ändern, müssen Sie überlegen, wo Potenzial besteht. Die Kunst wird es sein, Tegut unverwechselbar bleiben zu lassen, Kunden aber zugleich konventionelle Produkte zu fairen Preisen zu bieten.
Sie können ja nicht das eine so lassen – und das andere ändern. Wird es weniger Bio-Produkte geben?
Blunschi: Der prozentuale Anteil von Bio-Lebensmitteln am Umsatz wird tendenziell sinken. Aber wir hoffen, dass wir mehr Kunden in die Läden holen können – und deswegen weiterhin denselben Umsatz mit Bio machen wie schon jetzt. Außer Bio ist für viele Kunden zum Beispiel Regionalität entscheidend. Wir sehen gute Chancen, Tegut dort stärker zu positionieren.
Tegut-Geschäftsführer Thomas Gutberlet hat im vergangenen Jahr gesagt, im Wettbewerb mit den Großen dürfe Tegut kein Mainstream sein. Ändert sich das mit Migros?
Blunschi: Im Gegenteil. Migros will Tegut helfen, sich stärker über Eigenmarken von der Konkurrenz zu differenzieren. Das ist bisher nur sporadisch passiert. Zukünftig wird Tegut da eigenwilliger sein. Wir haben die Wertschöpfung unserer Eigenmarken im Griff. Vom aktuellen Skandal um Pferdefleisch in Lebensmitteln ist Migros als Händler zum Beispiel nicht betroffen, weil wir genau wissen, woher die Zutaten für unsere Produkte kommen.
Bleibt die Tegut-Eigenmarke erhalten oder wird sie durch Migros-Produkte ersetzt?
Blunschi: Für mich hat die Tegut-Eigenmarke Priorität. Wir wollen eine Preiseinstiegsmarke etablieren, deren Preise sich am Wettbewerb orientieren, die im Laden aber durch ein einheitliches Erscheinungsbild viel besser sichtbar ist. Tegut hat auch jetzt schon viele günstige Produkte im Angebot, das ist für die Kunden wegen der unheitlichen Kennzeichnung nur oft nicht ersichtlich.
Gibt es dann bald die klassische Eigenmarken-Struktur: Tegut Budget, Tegut Classic und Tegut Selection – so wie bei Migros?
Blunschi: Soweit sind wir noch nicht. Es könnte natürlich in diese Richtung gehen. Aber das lässt sich nicht eins zu eins transferieren. Ein M-Classic-Produkt aus der Schweiz, also aus der mittleren Produktlinie, wäre in Deutschland beim Preis auf Bio-Niveau. Das passt nicht. Um Produkte ins Sortiment integrieren, auf denen Migros steht, braucht es eine gewisse Logik. Die erarbeiten wir gerade. Der Schlüssel zum Erfolg ist sowieso eine standortspezifische Sortimentierung: Im Markt in Thüringen werden Schweizer Produkte vermutlich nicht dieselbe Rolle spielen wie in einem Markt in Stuttgart.
![Tegut-Markt in Fulda]()
Die Preise für Lebensmittel liegen in Schweizer Supermärkten auf einem anderen Niveau, auch weil die Kunden bereit sind, mehr zu zahlen. Wie lässt sich das überhaupt auf Deutschland übertragen?
Blunschi: Ich bin sehr zuversichtlich, dass die Wertigkeit von Lebensmitteln auch bei deutschen Konsumenten wieder zunehmen wird.
In der Schweiz gibt es bei Migros das “Kulturprozent”, mit dem kulturelle Zwecke gefördert werden. Außerdem unterscheiden Migros-Produkte zwischen Haltbarkeits- und Verbrauchsdatum. Wird es das auch bei Tegut geben?
Blunschi: Alle Stärken der Migros sollen zusammen mit dem Tegut-Management überprüft werden, um zu entscheiden, ob sie auch für den deutschen Markt geeignet wären. Es wird sicher Tests in bestimmten Märkten geben. Wir werden Tegut aber nichts aufzwingen.
Anders als Migros in der Schweiz wird Tegut also auch weiterhin Alkohol und Tabak verkaufen?
Blunschi: Deutsche Kunden sind One-Stop-Shopping gewöhnt. Sie wollen nicht zu vielen verschiedenen Märkten fahren, um einzukaufen. Es wäre ein Fehler, mit Tegut etwas anderes zu versuchen. Das habe ich auch unseren Gremien von vornherein gesagt. Und die Migros-Tochter Globus führt in der Schweiz ja auch alkoholische Getränke.
Wie stehen Sie zu den Eigenheiten von Tegut: den Saisongärten, den Kundenräten – und den “Lädchen für alles”? Die passen kaum zu ihrer Ballungsraum-Strategie.
Blunschi: Selbstverständlich halten wir alle bestehenden Verträge ein. Ich finde die “Lädchen” sind eine tolle Idee. Es kann für uns aber kein Expansionsziel sein, hundert “Lädchen” neu zu gründen. Wenn Kommunen aktiv mit einem Wunsch auf uns zukommen, werden wir das weiter verfolgen, aber Neueröffnungen nicht aktiv vorantreiben können. Das wäre ein falscher Fokus. Die Saisongärten und die Kundenräte finde ich gute Initiativen, die wir weiterlaufen lassen. Das passt zum Profil von Tegut. Punkten lässt sich eher, indem wir am Sortiment, am Ladenaufbau und den Standorten feilen.
Migros betreibt seit vergangenem Jahr mit Alnatura einen Biomarkt in Zürich. Inwiefern ist die Tegut-Übernahme davon berührt? Alnatura liefert schließlich auch an Tegut.
Blunschi: Das sind ganz unterschiedliche Schienen. In Deutschland ist Alnatura eigenständig und strategischer Partner von Tegut. Das soll auch so bleiben. In der Schweiz kooperiert Migros mit Alnatura. Wir werden in diesem Jahr noch einen zweiten oder dritten Markt eröffnen. Und wir testen Alnatura-Produkte in unsern Supermärkten. Gerade wird an Sortimentskorrekturen gearbeitet, um den Vorlieben der Schweizer Verbraucher besser gerecht zu werden. Insgesamt ist unser Feedback aber extrem positiv.
Sie haben sich aber mit Alnatura-Gründer Götz Rehn noch nicht darüber unterhalten, ob er sich eine Beteiligung der Migros vorstellen könnte?
Blunschi: So wie ich Herrn Rehn einschätze, ist das für ihn kein Thema.
Aber für Migros wäre es interessant, wenn es denn irgendwann ein Thema würde?
Blunschi: Ich glaube, Alnatura wäre für viele Unternehmen interessant.
In der Schweiz hat Migros mit dem Online-Einkauf von Lebensmitteln positive Erfahrungen gesammelt. Profitiert davon auch Tegut?
Blunschi: Der Markt in der Schweiz ist natürlich übersichtlicher. Wir haben bei Leshop.ch rechtzeitig investiert. Ein großer Vorteil war, dass wir uns einen langen Atem geleistet und nicht auf einen kurzfristigen Erfolg gesetzt haben. Das trägt jetzt Früchte. Bei Tegut kümmern wir uns zunächst einmal um die Optimierung des bestehenden Filialnetzes. Dann geht es um die stationäre Expansion. Ich glaube nicht, dass wir da gleichzeitig noch eine dritte Herausforderung stemmen können. Das ist eher eine Aufgabe für die Zukunft.
Fotos: Migros (2), Supermarktblog