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Kaiser’s Tengelmann und die Fehler im System

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Der Putz bröckelt - obwohl der Tengelmann-Chef meint, "alles getan" zu haben, um seine Supermärkte zu retten

“Wir wollten einfach nicht wahrhaben, dass wir mit unserer kleinen Supermarkttochter auf dem härtesten Markt der Welt nicht länger existieren können.”

Sprach Tengelmann-Geschäftsführer Karl-Erivan Haub (laut “Handelsblatt”), als er vor einem Monat bekanntgab, sämtliche Supermärkte an Edeka verkaufen zu wollen. Seitdem lässt er keine Interview-Gelegenheit aus, um zu beteuern, wie schwer ihm das falle. Im Springer-Beilagenwirtschaftsmagazin “Bilanz” erklärte Haub gerade:

“Die Lage ist schon sehr lange schwierig. In den vergangenen 15 Jahren haben wir regelmäßig Verluste ausgleichen müssen. Wir haben alles getan, um das Problem zu lösen (…). Aber schließlich mussten wir doch einsehen, dass es für uns in einem Massenmarkt eine solche Nische nicht gibt. Die Trennung war die ultimo ratio – nein, es gab keine Alternative.”

Zwischen “alles getan” und “keine Alternative” ist praktischerweise nicht mehr viel Platz für andere Interpretationen. Also auch nicht für die, dass das Supermarkt-Geschäft unter Haubs Geschäftsführung bei Tengelmann schon seit längerem keine Priorität mehr hatte und die Läden genau so aussahen.

Dass Kaiser’s Tengelmann nun vor dem Aus steht, liegt demnach nicht daran, dass die Kette zum Teil einen seltsamen Tonfall im Umgang mit Kunden pflegte.

Vielleicht gefällt’s den Leuten ja, stets als potenzieller Ladendieb empfangen zu werden: “Geklaut bei Kaiser’s” steht auf den grauen Körben, die man sich in vielen Märkten selbst hinter der Kasse wegfischen darf, wo sie von den vorigen Kunden vor Schreck fallen gelassen wurden.

Jeder Kunde ein potenzieller Ganove: Kaiser's signiert seine Einkaufskörbe mit Diebstahlhinweisen

Und die Schilder mit den “Lieblings-Artikeln” der Mitarbeiter, die für eine persönlichere Note im Markt sorgen sollten, sind auch wieder von den Regalen verschwunden. Dabei wurden sie doch ebenso eifrig für die Kundenkommunikation genutzt:

“Auch Kaffee wird bei uns videoüberwacht.”

Höflicher Hinweis an die Kundschaft: Sie werden videoüberwacht, Sie Depp!

Dass Kaiser’s Tengelmann nun vor dem Aus steht, liegt , wenn wir Haub glauben, auch nicht an der Irrgartenhaftigkeit vieler Filialen.

Gut, während andere Supermärkte ihren Kunden einen klaren Weg vom Eingang in den Markt hinein zeigen, macht Kaiser’s erstmal Stress.

Eingang zum Irrgarten: Da müssen Sie jetzt durch, wenn sie einkaufen wollen

In einer durchschnittlichen Filiale, zum Beispiel in Berlin, ist hinter die Obst- und Gemüse-Abteilung bis zu den Frischetheken ein Irrgarten schulterhoher Kühlinseln gewachsen, die wie abgekoppelte U-Bahnwaggons schräg im Markt stehen und von allen vier Seiten mit Waren vollgestopft sind. Das führt dazu, dass Leute ständig am Suchen sind und frustriert um die Waggons herumlaufen, bis sie endlich finden, was sie suchen – oder aufgeben.

Auf Hinweisschilder verzichtet Kaiser’s.

Auf jedem Quadratmeter Platz materialisiert sich automatisch ein neuer Aufsteller

Dass nicht nur zwischen die Theken, sondern auch vor die Kassen und auf jeden anderen freien Platz im Markt permanent Aufsteller mit Aktionsprodukten gerammt werden, erschwert und verlängert die Wege zusätzlich.

Auch neu eröffnete Filialen verkommen innerhalb kürzester Zeit zum Hindernisparcours: Hier steht ein Nutella-Regal, dort ein Lindt-Aufsteller, hinten die futuristisch leuchtende, völlig überdimensionierte Red-Bull-Theke neben dem Berliner-Pilsener-Kühlschrank, der Restposten-Gittertisch braucht auch noch Platz und dann kommt die Saisonware: Weihnachten, Ostern, Grillzeit – irgendwas ist immer.

Grillzeit! Kaufen Sie schnell diese Sonderposten, bevor der Weihnachtsmarkt aufgebaut wird

Kaiser’s opfert bereitwillig die Struktur im Markt und die Orientierung seiner Kunden, damit Markenhersteller ihre Produkte in hässlichen Plastik- und Papp-Boxen in Szene setzen dürfen.

Aber damit, dass die Kette nun vor dem Aus steht, hat das genauso wenig zu tun wie die miese Qualität der Vorkassenbäcker mit dem fantastischen 80er-Jahre-Namen “Backstop”.

Um sich gegen die Brötchenknast-Initativen der Discounter zur Wehr zu setzen, hätte Kaiser’s in Wertigkeit und Geschmack der Waren investieren können. Stattdessen hat man sich entschieden, die Aufbackmachwerke einfach in ein hübscher glänzendes Thekendesign zu legen und (wie im Berliner LP12) die Behauptung “Backgenuss” dranzuschreiben.

Kaiser's Vorkassenbäcker heißt Backstop, nicht zu verwechseln mit der bekannten deutschen Country-Band

Und die fehlende Anpassungsfähigkeit der kleinen City-Filialen ist schon mal gar nicht Schuld, dass Kaiser’s Tengelmann nun keine Zukunft mehr hat.

Immerhin ist die Supermarktkette in der Hauptstadt früh auf die Idee gekommen, dass es clever sein könnte, neue Märkte auch dort zu eröffnen, wo Menschen wohnen, arbeiten und pendeln. Von außen sehen die City-Filialen edel aus, sie haben lange Öffnungszeiten und sind ideal gelegen – eine Anpassung des Supermarkt-Konzepts für die winzigen Flächen hielt aber niemand für nötig.

Kaiser's im Bikini: Außen hui, drinnen - ganz schön eng und vollgestopft

Anstatt sich in manchen Kategorien auf die wichtigsten Artikel zu beschränken, sind die Regale mit Zeugs vollgestopft und die Gänge mit Kunden. In der Hauptbahnhof-Filiale macht man schnell unbequeme Bekanntschaft mit dem Gepäck der Mitreisenden. Der Laden im Bikini-Einkaufszentrum in Kudamm-Nähe hat völlig unnötig Frischetheken in den sowieso schon zu kleinen Verkaufsraum gestopft. Und wenn am Hackeschen Markt die Kassenschlangen zum Feierabend immer weiter in den Markt hineinwachsen, wird das Einkaufen für die nächsten Kunden unmöglich.

All das sind aber keine Gründe dafür, dass Kaiser’s Tengelmann jetzt vor dem Aus steht. Sagt Karl-Erivan Haub, der meint, sein Unternehmen habe “alles getan”, um sich im Markt zu behaupten.

Alles – außer den großen Haufen Fehler zu verhindern, mit denen sich Kaiser’s selbst zum Ergänzungssupermarkt degradiert hat. (Wer entspannt und übersichtlich Lebensmittel einkaufen will, geht zur Konkurrenz, den Rest besorgt man gezwungenermaßen bei Kaiser’s.)

Dass Haub das nicht erkannt (oder interessiert) hat, spricht dafür, dass der Verlustschmerz über den Verkauf vielleicht doch nicht ganz so groß ist, wie er’s gerade in den vielen Interviewern in den Block diktiert.

Fotos: Supermarktblog


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