Eine wachsende Zahl Deutscher findet es in Ordnung, nicht mehr jeden Tag ein Stück Fleisch auf dem Teller liegen zu haben. Viele verzichten gleich ganz darauf und ernähren sich komplett vegetarisch oder vegan und kaufen so genannte “Fleischersatzprodukte”. Die gehören inzwischen sogar zum Sortiment vieler Discounter.
Aber – lohnt sich das für Aldi, Penny & Co. überhaupt? Drei Erklärungsversuche (und ein Ratespiel).
1. Veggie-Käufer sind gar keine Vegetarier
Jedenfalls nicht mehrheitlich, hat die GfK ausgerechnet. In den vergangenen fünf Jahren haben sich die Umsätze mit vegetarischen Brotaufstrichen und “Fleischersatzprodukten” – sagen wir doch einfach: Alternativschnitzel – fast verdoppelt, nämlich auf 213 Millionen Euro. Nielsen kommt sogar auf einen Jahresschnitt von 289 Millionen Euro (Februar 2014 bis Januar 2015). Die GfK vermutet, dass unter den rund 11 Millionen Veggie-Käufern zahlreiche “Flexitarier” sind, also Leute, die ihren Fleischkonsum nicht ganz einstellen, aber zumindest reduzieren. Anders gesagt: Viele Veggie-Käufer sind gar keine Vegetarier. Sondern essen z.B. weniger Fleisch, weil sie Massentierhaltung satt haben oder die Umwelt schonen wollen.
Dabei werden ausgerechnet die Fleischkonzerne bald die größten Veggie-Produzenten sein: Vor einigen Monaten hat der Wurstproduzent Rügenwalder Mühle seine “Vegetarischen Schinken-Spicker” in die Läden gebracht und erzielt damit schon 15 Prozent seines Gesamtumsatzes. Ab diesem Monat soll es “Vegetarische Mühlen-Schnitzel” und “Mühlen-Nuggets” geben, “unterstützt vom Vegetarierbund”.
Wiesenhof legt mit “Crispy Schnitzel” und “Veggie-Sticks” unter der Marke “Paul’s Veggie” (mit echtem Deppenapopstroph) nach, Fleischproduzent Tönnies macht bald Tofu-Würstchen. (Mehr dazu hat FAZ.net aufgeschrieben.)
Für die Discounter ist das ein Zeichen, dass Veggie im Massengeschmack angekommen ist. Selbst der langjährige Veggie-Verweigerer Lidl hat nachgegeben und testet in einigen Filialen die neue Eigenmarke “My Best Veggie”, unter der drei Alternativwurstsorten im Regal liegen, die sehr an die Rügenwalder-Varianten erinnern.
Ebenfalls getestet werden vegetarische Fertiggerichte mit Soja (Foto ganz oben) – weil es nun wirklich keinen Grund gibt, Leute zu verschrecken, die auf Fleisch verzichten wollen, aber nicht auf Fertigfutter.
Warum Alternativwurstverzehrer Tieren keinen großen Gefallen tut, wenn sie Produkte wie die von Rügenwalder oder Lidl kaufen, die vornehmlich aus Hühnereiweiß bestehen, hat Derik Meinköhn (der bis vor kurzem bei stern.de “Einfach vegan” gebloggt hat) kürzlich auf Facebook vorgerechnet:
“Vegetarische Mortadella besteht zu 70% aus Eiklar. Für die entsprechenden 121 kg Wurst würde man 84,7 kg Eiklar benötigen. 1 Ei wiegt 60 g und besteht aus 60% Eiklar. Also benötige ich für 84,7 kg Eiklar 2353 Eier. Ein Huhn legt 430 Eier in 1,5 Jahren, danach wird es geschlachtet, weil die Eierproduktion nachlässt. Also brauche ich theoretisch 5,5 Hühner um die benötigten Eier zu produzieren. Weil aber bei der Züchtung von Legehennen die männlichen Küken geschreddert werden, kommt man insgesamt auf 11 Tiere.”
2. Veggie-Käufer sind jung
34 Prozent aller Veggie-Produkte werden von Kunden unter 40 Jahren gekauft. Und genau diese Leute laufen den Discountern – allen Modernisierungen zum Trotz – immer noch in Scharen davon, weil sie laut GfK “alles, was sie brauchen, in einem Geschäft kaufen” wollen. Wenn dazu auch vegetarische Produkte gehören, die es aber im Discounter womöglich nicht gibt, ist das ein Kriterium, den kompletten Einkauf lieber gleich bei Rewe, Edeka oder Real zu erledigen.
Deshalb sind Supermärkte und SB-Warenhäuser bislang die Gewinner des Veggie-Booms. Sie haben eine große Auswahl an Alternativschnitzeln und sind deswegen Anziehungspunkt für die Jüngeren. Ein Großteil der Veggie-Artikel wird dort gekauft.
Insgesamt werden die Umsätze, die Discounter mit Sojaschnitzeln und Veggie-Wurst machen, kaum besonders hoch sein – so wenig Platz wie die meisten den Artikeln im Kühlregal einräumen. Aber im Zweifel sind diese Artikel eben entscheidend dafür, ob ein (junger) Kunde überhaupt zu Aldi, Lidl oder Penny geht.
3. Vielfalt ist Veggie-Discountkäufern wurscht
Herzlich willkommen, Sie haben’s zu Supermarktblog’s großem Discount-Veggie-Ratespiel geschafft. Erkennen Sie die Soja-“Vielfalt” auf diesem Foto – also: aus welchem Laden stammt welche vegetarische Bulette?
Die richtige Antwort lautet: ist eigentlich egal. So sehen es offensichtlich viele Kunden, die Veggie im Discounter kaufen. Der Vielfalt wegen (oder der Appetitlichkeit der in Plastik verschweißten Burger-Auflagen) passiert das jedenfalls eher nicht. Die Produkte ähneln sich ladenübergreifend sehr, und die einfachste Erklärung dafür ist: Sie stammen ja auch vom selben Hersteller. Aldi Nord und Penny nennen auf der Verpackung ihrer Sojaburger das Hillesheimer Unternehmen Tofu Life als Produzenten, und die Netto-(ohne, ähm, Hund)-Burger sehen aus wie deren einbohnige Bulletengeschwister.
Dabei geben sich die Discounter große Mühe, mit unterschiedlichen Labels und Verpackungen darüber hinwegzutäuschen (v.l.n.r.: Aldi Nord, Netto [ohne Hund], Penny, Norma).
Ähnliches gilt für Alternativschnitzel und Sojawürstchen, die bei der Appetitlichkeitsprüfung auch eher einen schweren Stand haben:
Alternativ lassen sich auch Teile des bisher schon geführten Sortiments als vegetarierfreundlich auszeichnen, so wie das der Harddiscounter Norma seit einer Weile praktiziert, um seine Kundschaft mit fleischfreien Smoothies, fleischfreiem Pizzateig und fleischfreiem Salat zu begeistern.
Ach so, Sie warten sicher noch auf die Schnitzel-/Wurst-Auflösung (v.l.n.r.: Penny, Aldi Nord, Netto [ohne Hund], Aldi Nord):
So sehr die Nachfrage nach vegetarischen Produkte derzeit auch steigen mag: Dass die großen Discounter demnächst zu Vegetarier-Paradiesen werden, müssen Freunde des luftdicht verpackten Schinkenspecks eher nicht fürchten.
Jedenfalls nicht, so lange man als Fleischvermeider bei Lidl vor dem Kauf italienischer Teigwaren noch darauf achten muss, ob die vermeintlich vegetarischen Nudeln der Edel-Aktionsmarke Italiamo unter Umständen “Spuren von Fisch (…) und Weichtieren” enthalten.
Mit Dank an @vicari für die Inspiration.