Künstliche Verknappung ist ein Spitzentrick, um uns die Auswahl beim Einkaufen zu erleichtern. (Warum, steht hier im Absatz ” Zuviel Auswahl macht blind”.) Aber dass ausgerechnet Real mit seinen SB-Warenhäusern auf diese Idee kommt, ist irgendwie kurios. “Bis zu 80.000 verschiedene Artikel” sind in den Märkten erhältlich, schreibt die Metro-Tochter im Netz über ihr Riesensortiment. Online bleibt davon nur ein Bruchteil übrig.
Mit dem Spruch “Lebensmittel? Liefern wir!” wirbt Real in Berlin seit einigen Wochen für seinen neuen Bringdienst, den es auch schon in Köln/Bonn und Hannover/Isernhagen gibt. Anders als im Laden können Kunden aber nur aus 5000 Produkten auswählen. Real-Sprecher Markus Jablonski erklärt:
“Es hat sich für uns im Laufe der Jahre herauskristallisiert, dass diese Sortimentsgröße völlig ausreichend im Online-Food-Business ist.”
Diese Erkenntnis ist erstaunlich. Weil man annehmen könnte, dass Real-Kunden im Netz vielleicht das gleiche einkaufen wollen wie im Laden. Bei Real Drive geht das nicht. 90 unterschiedliche Tiefkühlpizza- und Baguette-Sorten sind zwar kein Problem; aber Bio-Bananen und Bio-Zitronen, die im Markt eine Selbstverständlichkeit wären, kommen online nicht in die Tüte. Dabei werden sämtliche Lebensmittel für die Lieferung in einem ganz normalen Markt zusammengepackt, wären also vorrätig.
Möglicherweise verzichtet Real freiwillig auf Vielfalt, um mit Schnelligkeit zu punkten. Denn das Versprechen von Real Drive (das etwas missverständlich so heißt, weil es mal als reiner Abholdienst gestartet ist) lautet: Wer bis 12 Uhr ordert, kriegt seinen Kühlschrank ab 16 Uhr (in Berlin) bzw. 18 Uhr (in Köln/Bonn) noch am selben Tag aufgefüllt. Müssten sich die Mitarbeiter im Laden dann durch 80.000 unterschiedliche Produkte suchen, wäre das vermutlich unmöglich.
Derzeit bietet Real Drive pro Stadt nur zwei Zeitfenster am Abend an, in denen geliefert wird. Dafür arbeitet die Warenhauskette mit Kurierdiensten bzw. dem Lieferservice Tiramizoo zusammen, bringt Lebensmittel also nicht per DHL oder wie Rewe im eigenen Wagen. Andere Zeiträume seien derzeit nicht geplant, erklärt Jablonski:
“Im jetzigen Stadium sehen wir dafür keine Notwendigkeit, da das Gros unserer Kunden ohnehin berufstätig ist. Wir haben bislang seitens der Kunden jedenfalls noch keine Anfragen nach alternativen Lieferzeiten. Selbstverständlich richtet sich jedoch auch hier irgendwann das Angebot an der entsprechende Nachfrage aus.”
Meine Bestellung, verschickt am Vormittag, war pünktlich zum Abendbrot geliefert (Frische, TK, Getränke, Drogerie und Standard-Lebensmittel). Nur von der Frischetheke können sich Drive-Lieferkunden derzeit nicht bedienen. “Hier stünde der zu leistende Aufwand im Moment noch in keinem sinnvollen Verhältnis zum Ertrag. Und wir sehen, dass SB-verpackte Ware bei diesem Absatzkanal vom Kunden akzeptiert wird”, meint Jablonski.
Dass Real – zumindest testweise – mit einem eigenen Lieferservice in den Wettbewerb einsteigt, ist ein wichtiger Schritt, um sich gegen die Konkurrenz mit ihren Stadtsupermärkten zur Wehr zu setzen. Die Frage ist bloß, ob den Käufern die Schnelligkeit wirklich so wichtig ist. Schließlich verschenkt Real damit den Vorteil der enormen Auswahl, wie sie Stammkunden aus dem Laden bekannt ist und wie sie die Konkurrenten theoretisch nicht liefern könnten.
Praktisch ist es derzeit genau umgekehrt: Rewe wirbt damit, ca. 9000 Produkte online zu haben. Ob Real mit mehr Vielfalt einen Vorteil hätte, wäre zumindest einen Test wert.
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Real Drive ist außerdem ein schöner Beleg dafür, wie ungeheuer schwierig es ist, einen funktionierenden Lieferservice für Lebensmittel aufzubauen. Weil es dabei wahnsinnig viele Kinderkrankheiten auszumerzen gilt.
Bei der Bestellung: Die Real-Drive-Seite merkt sich, auch im eingeloggten Zustand, nicht den Einkaufskorb. Wer abends schon mal den ersten Schwung draufstellt, muss am anderen Morgen die ganze Arbeit nochmal machen.
Beim Gutschein aus meiner Newsletter-Anmeldung hat die Seite grundlos die Annahme verweigert; der Drive-Kundenservice leitet die Rückfrage an irgendeine Abteilung weiter und schreibt, er freue sich, “Sie bald wieder in einem unserer SB-Warenhäuser begrüßen zu dürfen”. (Heißt das, ich soll nicht mehr bestellen?) Dann meldet er sich nicht mehr.
Bei der Lieferung: Anders als auf dem Flyer abgebildet, kommt die Lieferung nicht vom Fahrer in Real-Uniform, sondern vom Kurierdienst, der kein Fahrzeug mit Kühlung hat und sehr unhandliche Styroporkisten vor die Haustür schleppen muss. Für meine durchschnittliche Bestellung ist der Fahrer dreimal Treppen gelaufen. Die Rewe-Kollegen schaffen das (bewundernswerterweise) in einem Schwung, weil sie am Wagen vorsortieren können. Die Real-Kisten hingegen sind versiegelt und sollen offensichtlich direkt vorm Kunden geöffnet werden.
Das kostet Zeit, in der die Konkurrenz schon beim nächsten Besteller sein kann. (Sie hat vorher aber natürlich auch enorme Kosten für die eigene Logistik.)
Beim Auspacken: Lebensmittel in durchsichtige Müllsäcke zu packen, ist gewöhnungsbedürftig. Tomaten-Passata, die einzeln in Plastiktüten mit Plastikkammer-Polstern geschützt sind, kommt zwar heil an, vergrößert aber unschön den zu entsorgenden Verpackungsberg. (Ein altbekanntes Lieferproblem.)
Das sind alles nur Kleinigkeiten, am Ende ist das Wichtigste: Meine Lebensmittel sind schnell und frisch an die Haustür geliefert worden. Aber wenn sich diese Kleinigkeiten summieren, sind sie für viele Kunden ein Ärgernis. Sobald es in einer Stadt zwei oder drei Lieferservices gibt, die ihr Angebot rechtzeitig perfektioniert haben, wird die Entrittshürde für jeden, der nachziehen will, dadurch um so größer, weil Fehler kaum noch verziehen werden.
Real muss sich da vermutlich keine große Sorgen, sondern einfach weiter machen. Aber allen, die noch gar nicht auf Online setzen, wird das künftig auf die Füße fallen.
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Fotos: Supermarktblog