Wegen seiner „Qualitäts“-Werbekampagne hat Lidl in den vergangenen Wochen ziemlich viel Kritik einstecken müssen. Weil niemandem in Neckarsulm aufgefallen war, dass die bei der Agentur zu tief in die Schachtel mit den Eigenmarken-Schnapspralinen geschaut haben, als sie Sprüche wie „Gute Qualität erkennt man an guter Qualität“ erfanden. Vermutlich ist die Kampagne öfter parodiert als von Kunden verstanden worden. Noch dazu trugen die in den Filialen aufgehängten hübsch bedruckten Feelgood-Pappen eher dazu bei, das alte, weniger Feelgood-orientierte Ladendesign noch ein bisschen überholter aussehen zu lassen (siehe Supermarktblog).
In einer Berliner Filiale probiert Lidl deshalb jetzt schon wieder was Neues aus: ein Laden-Design, das sich deutlicher als alles bisher von den Discount-Wurzeln entfernt.
Die betroffene Filiale im Norden der Stadt hat kürzlich nach einer Erweiterung wiedereröffnet. In dieser Zeit haben die fleißigen Bauarbeiter nicht nur die Verkaufsfläche minimal erweitert, sondern auch den Großteil der Qualitätskampagnen-Motive auf den Müll geworfen.
Im Eingangsbereich klebt jetzt eine Fototapete mit einem Schwarz-Weiß-Motiv des Brandenburger Tors (Foto oben); hinter den Kassen sind die glücklich zurecht gephotoshoppten Lidl-Kunden mit einem Schwarz-Weiß-Motiv des Berliner Fernsehturms überklebt worden; und statt der Spruchposter hängen über Regalen und Kühlregalen jetzt eher dezente Symbolbilder der jeweiligen Produktkategorie, zur besseren Orientierung für die Kunden.
Am auffälligsten ist aber, dass sich Lidl in der umgebauten Filiale von seiner bisherigen Grundfarbe, dem leuchtenden Discount-Blau, verabschiedet hat. Stattdessen ist die komplette Ladeneinrichtung in Dunkelgrau getunkt worden – nicht nur die Prospektständer und die Deckenhänger mit den Preisschildern, sondern auch die Kassen (die sonst blau-gelb sind).
Selbst die Ladenverkleidung, die Fensterrahmen und die Schiebetüren mussten sich anpassen:
Offensichtlich hat die Schwester-Kette Kaufland gute Erfahrungen mit ihrer Begrauung gemacht, die seit einiger Zeit erfolgt. (Fehlt bloß noch, dass sich die Lidl-Muttergesellschaft von Schwarz- in Grau-Gruppe umbenennt.)
Die zweite große Veränderung betrifft den Irrgarten aus Tiefkühltruhen, der sich in den Läden seit der Sortimentsvergrößerung mit frisch abgepacktem Fisch und Fleisch breit gemacht hat und zunehmend für Unübersichtlichkeit sorgt. Das war offensichtlich auch Lidl nicht so recht, deshalb ist im umgebauten Laden der Großteil des Tiefkühlsortiments an die linke Wandseite verschoben worden und dort nicht mehr nur in Truhen sortiert, sondern auch in Lidl-untypische Hängeschränke (wie es sie ebenfalls bei Kaufland gibt).
Das macht einen deutlich übersichtlicheren Eindruck als bisher und zeigt auf einen Blick, dass Lidl es mit seinem riesigen Tiefkühl-Angebot locker mit jedem normalen Supermarkt aufnehmen kann.
Direkt im Laden steht davor nur noch eine einzige Truhe für tiefgekühlte Aktionsware (weiterhin mit unpassend-neonfarbenem „Aktions“-Hinweis aus der alten Discountwelt).
Auch das frische Fleisch darf weiter eine eigene Kühltruhe für sich beanspruchen, ist aber auf der gegenüberliegenden Ladenseite der Frische-Abteilung zusortiert, deren Mittelpunkt weiterhin Obst und Gemüse sind. Neu ist die Frische-Kühltheke rechts daneben, in der Sofortessen und Fertigmahlzeiten jetzt ein für alle Mal zusammensortiert sind: vorbereitete Salate, fertige Nudeln, ein deutlich erweitertes Angebot vegetarischer Eigenmarken-Produkte, frisch gepresste Säfte, Microwellen-Mahlzeiten usw.
Ob das Sortiment nach der Erweiterung tatsächlich sehr viel größer geworden ist, lässt sich schwer sagen. Der vorher schon absurd große Brötchenknast ist noch einmal mit einer zusätzlichen Theke für süßes Fettgebäck erweitert worden. Nur darum, mehr Waren auf den dazu gewonnen Platz zu pressen, kann es Lidl also kaum gegangen sein.
Vermutlich verfolgen die Manager auch ein anderes Ziel: Durch die neue Sortierung wirkt die Filiale erstmal großzügiger und aufgeräumter. Auf überflüssigen Deko-Aufwand wird (bis auf die Sehenswürdigkeiten-Fototapeten) zwar immer noch verzichtet, was den Grauen Lidl zugleich deutlich kühler wirken lässt als bisher. Und bis zum weiterhin dreckig-sandfarben bekachelten Fußboden reichen die neuen Design-Ambitionen auch nicht. Doch die Abkehr vom Discount-Blau, die aufgeräumte TK-Abteilung und das plötzlich riesig wirkende Frische-Sortiment lassen den Discounter deutlich supermarktiger aussehen als jemals zuvor.
Und genau das ist’s ja, woran in Neckarsulm seit vielen Monaten gearbeitet wird.
Auf die Frage, ob weitere Lidls zu Grauen Lidls umgebaut werden, möchte das Unternehmen nicht antworten, erklärt aber:
„[Lidl] testet kontinuierlich entsprechende Konzepte, mit dem Ziel, eine flächendeckende Lösung für Lidl zu entwickeln. Vor diesem Hintergrund testen wir im Interesse unserer Kunden auch Konzepte für eine bedarfs- und zielgruppengerechte Gestaltung unserer Filialen. Dabei spielen maßgeblich Gestaltungsgrundsätze eine Rolle, die für eine übersichtliche, helle und freundliche Atmosphäre sorgen und unsere Kernkompetenz – die Frischebereiche wie Backwaren, Fisch, Obst und Gemüse etc. – ansprechend präsentieren.“
Zu Details aktueller Tests wolle man sich nicht äußern, schreibt Lidl außerdem (und bestätigt damit immerhin indirekt, dass es sich beim Grauen Lidl um einen Test handelt).
Haben Sie auch einen Grauen Lidl in der Nachbarschaft? Dann schreiben Sie’s in die Kommentare!
Fotos: Supermarktblog