Zur Standardausstattung des modernen Supermarkts gehören mehr nur SB-Kassen, Orangensaft-Pressmaschinen und selbstöffnende Kühlthekenverglasung – sondern längst auch die ladeneigene Hellseherin. Die wenigsten Kunden kriegen sie je zu Gesicht. Sie sitzt hinten im Lager, darf Schmuckkopftuch zur Arbeitskleidung tragen, trifft sich in der Pause gerne mit der Kollegin von der Käse-Bedientheke zum Rauchen und hat Rückenprobleme, weil sie den ganzen Tag über der Kristallkugel hängt, um rauszukriegen, wie wir beim Einkaufen ticken.
Weil sich die Supermärkte ein bisschen dafür schämen, dass sie weiterhin auf derart altmodische Hellsehtechnik setzen, während rundherum im Laden alles automatisiert wird, hat man sich auf einen möglichst technisch und kompliziert klingenden Begriff für die aktuellen Kundenvorhersagen geeinigt: „Category Management“.
Das „Metro Handelslexikon“ erklärt ihn so:
„Im Kern geht es darum herauszufinden, welche Produkte aus Sicht der Kunden sinnhaft zusammengehören. Diese Waren bündeln die Händler in sogenannten Kategorien, um sie optimal im Markt platzieren und vermarkten zu können. Im Ergebnis verkürzen sich dadurch die Laufwege für die Kunden; sie werden zusätzlich zu Impulskäufen angeregt.“
Der Hellsehjob besteht also darin, alles so hinzustellen, dass Kunden die Sachen möglichst nah beieinander finden, die sie sich auf den Einkaufszettel geschrieben haben. Und dann noch genug Zeit ist, um Quatsch zu kaufen.
Oft gehen die Kundenvorhersager noch einen Schritt weiter, so wie in den riesigen SB-Verbrauchermärkten der Supermarktkette Carrefour in Warschau. Zwischen den Hauptartikeln sind dort Produkte im Regal platziert, die zwar nicht unmittelbar zur selben Warengruppe gehören, aber eine ideale Ergänzung sind, um besagte Impulskäufe zu fördern.
Um darauf zu kommen, muss man nicht zwangsläufig Kristallkugel sein.
Für einen lustigen Filmabend braucht’s zum Beispiel nicht bloß Cracker und Chips – sondern auch Limonade. Und wenn der Kunde dafür nicht mal den Gang wechseln muss, greift er umso leichter zu:
Umgekehrt funktioniert’s genauso. Wer abends ein schönes Bierchen zischt, kriegt Appetit auf Chips. Bitteschön:
Wodka verträgt sich gut mit Red Bull. Kein Wunder, dass die Dosen in der eigens dafür angefertigten Hängevorrichtung fast alle weggekauft sind:
In vielen Fällen ist die Hellseh…, ähm: das hochgradig komplizierte Category Management bei Carrefour aber auch eine aufschlussreiche Information darüber, wie die Vorhersager ihre Kunden einschätzen.
Wer zum Beispiel literweise Nestea einkauft, feiert bestimmt bald Kindergeburtstag. Deshalb hängen die bunten Partybecher gleich daneben (obwohl eine Diabetes-Notfallnummer an derselben Stelle auch eine gute Idee wäre):
Lässt sich jemand von seinem Nachwuchs beim Einkaufen einen quietschbunten Zuckerdrink abschwatzen, knickt er oder sie bestimmt auch ein, wenn das völlig überteuerte daneben hängende Lego-Minispielzeug begehrt wird:
Zum Cornflakes-Essen braucht man, ganz genau: eine Schüssel. Und weil zuhause bestimmt die Spülmaschine in der Dauerrotation läuft, kauft der Kunde einfach eine neue:
Wer schon wieder Wäsche in die Maschine stopft, lebt vermutlich in allgemein eher putzbedürftigen Wohnumständen. Das ändert sich sofort mit dem Erwerb eines Paars nagelneuer Plastikhandschuhe!
Besonders aufschlussreich ist aber, wie die Vorhersager das Trinkverhalten ihrer Kunden bewerten: allenfalls so mittelverantwortungsbewusst.
Deshalb hängt zwischen dem harten Alkohol und dem quietschbunten Mischquatschalkohol bei Carrefour ein Spender mit Ibuprofen-Schmerztabletten. Damit die Kunden am Morgen nach dem Gelage nicht zu lange leiden müssen und gleich wieder einkaufen gehen können.
Ist ja nett, dass Carrefour mitzudenken versucht. Aber eigentlich wär’s als vertrauensbildende Maßnahme noch besser, wenn Supermärkte ihren Kunden beim Einkaufen nicht das Bild vermitteln würden, sie für alte Saufnasen zu halten, die ihr Bad zu selten putzen und nicht mehr alle Schüsseln im Schrank zu haben.
Kann ja nicht so schwer hellzusehen sein.
Fotos: Supermarktblog