Einst sorgte der Mensch als Jäger und Sammler dafür, Tag für Tag satt zu werden. Das Jagen hat sich schon seit einer ganzen Weile erledigt (außer wenn wieder irgendwo Schlussverkauf ist). Und das Sammeln der zurechtportionierten Lebensmittel im Supermarkt ist auch ziemlich lästig geworden, seitdem ein Großteil der Bevölkerung bis spätabends im Büro bleibt, um noch schnell die Powerpoint-Präsentation für morgen fertig zu kriegen.
Vielleicht ist das “Kochhaus” mit seinem Konzept deshalb so erfolgreich.
Vor drei Jahren eröffnete in Berlin die erste Filiale, inzwischen gibt es deutschlandweit acht Läden (und einen Haufen Nachahmer, die das Prinzip zum Online-Versand umfunktioniert haben). Im Kochhaus sind sämtliche Zutaten nach Rezepttischen geordnet. Alles, was es für die – wöchentlich wechselnden – Gerichte braucht, gibt’s an ein und derselben Stelle. Das ist furchtbar praktisch, weil es einem nicht nur das Suchen im Supermarkt abnimmt, sondern gleich auch die Frage, was überhaupt gekocht werden soll.
Und es ist ein bisschen seltsam, weil Kunden dafür Lebensmittel mit saftigem Preisaufschlag einkaufen, von denen sich manche vorher schon schön im Schaufenster gesonnt haben. (Die Lebensmittel, nicht die Kunden.)
Die Supermärkte haben dieses Bedürfnis der Konsumenten lange verpennt. Dabei sitzen sie doch sozusagen an der Quelle. Es müsste eigentlich ein Kinderspiel sein, den Leuten nicht bloß eine aufgeräumte Gemüseabteilung und frischen Fisch an der Theke zu bieten, sondern gleich die Inspiration dazu, wie daraus ein leckeres Abendessen werden kann. Jetzt sind Kaiser’s und Rewe aufgewacht – und versuchen genau das. Mit überschaubarer Inspiration und zwei sehr unterschiedlichen Rezepten.
Kaiser’s: “Ideen-Regal” in einfacher Rezeptmarinade
Die Zutaten: 1 schmales Regal, einige bunt bedruckte Rezeptkärtchen, Lebensmittel
Die Zubereitung: Das Regal in die Obst- und Gemüseabteilung geben, vorher das Plakat mit dem Rezept der Woche einhängen, z.B. Folienspargel mit Frühlingskräuterbutter und Pfannkuchen, gefüllte Blätterteigtaschen mit Champignons und buntem Salat oder Putensteaks mit Kartoffel-Saltimbocca-Spießen. (Dann fühlen sich die Kunden nicht unnötig überfordert.) Währenddessen die Rezeptkärtchen vorbereiten. Einmal in der Mitte falten und dann seitlich lochen, so lässt sich das Rezept nach der Mitnahme leichter abheften. Anschließend die für das jeweilige Gericht notwendigen Zutaten ins Regal füllen. Für eine Woche im normal temperierten Laden stehen lassen. Montags mit neuem Rezept wiederholen.
(Nicht vergessen, die “Idee der Woche” im Werbeprospekt anzukündigen.)
Das Urteil: Anspruchsvolle Kunden werden sich vom Originalitätsgrad der Rezepte eher nicht überzeugen lassen. Der angegebene “Schwierigkeitsgrad” ist meistens: 1. Und in der “Getränkeempfehlung” auf den Kärtchen heißt es schon mal lapidar: “Dazu schmeckt: eine Apfelsaftschorle”.
Die Zutatenübersicht ist jedes Mal exakt so fotografiert wie beim Kochhaus. Und irgendwie wird man den bösen Verdacht nicht los, dass es sich beim “Ideen-Regal” von Kaiser’s nicht um eine ehrliche Empfehlung, sondern bloß um einen schnöden Marketing-Gag handelt: Die unglückliche Konstruktion hat im Laden keinen festen Platz, wird deshalb irgendwo zwischen Kühltisch und Obstpalette gerammt und wäre ziemlich leicht zu übersehen, wenn sie in manchen Filialen nicht so schön im Weg herumstände. Das größte Problem der vermeintlichen Kochinspiration ist aber, dass sie den Kunden mahnt:
“Einige Zutaten für das Rezept der Woche finden leider keinen Platz in diesem Regal.”
Im Kochhaus ist das anders, da steht neben jedem Rezepttisch eine Minikühlung für Milchprodukte und Fleisch. Bei Kaiser’s muss der Kunde aber doch wieder suchen. Zumal die übrigen Zutaten auch nur in Ausnahmefällen mit dem versprochenen “Regalfähnchen” gekennzeichnet sind. (Ehrlich gesagt ist so eine zehn Zentimeter breite Papierlasche in einem Laden, der viele tausend Produkte anbietet, sowieso ein Witz.)
Dazu kommt, dass Kunden, die sich im “Ideen-Regal” bedienen, ordentlich Geld abgenommen kriegen, weil – abgesehen von Kaiser’s-Eigenmarken – oft die teuerste Variante einer Zutat einsortiert ist. (Das Oregano für die Marinade der Rezepts aus der Vorwoche kostete im ‘Ideen-Regal’ stolze 2,69 Euro für 9 Gramm, ein paar Meter weiter im ideenlosen Gewürzregal 1,79 Euro für 20 Gramm eines anderen Herstellers.)
Anders formuliert: Wer aus dem “Ideen-Regal” einkauft, bezahlt einen mäßig originellen Kaiser’s-Rezepttipp, wie zur Spargelzeit mal Spargel zu kochen, teuer an der Kasse. Als vertrauensbildene Maßnahme eignet sich dieser Versuch eher nicht.
Dazu passt: die wenig vertrauensbildende Maßnahme, beim Kaiser’s-Lieferdienst höhere Preise zu verlangen als beim Einkauf im Laden – trotz zusätzlicher Liefergebühr.
Rewe: Testsüppchen nach Showkochart vor Probiergarnitur
Die Zutaten: 1 Showkoch mit Begleitung, 1 Bierbankgarnitur (gebraucht), 2-3 Stehtische, ca. 100 Probierschälchen, 1 Vorstandsvorsitzender, der in einem Zeitungsinterview erklärt, den stationären Handel wieder attraktiver machen zu wollen:
“Wir müssen ihn sozusagen als Marktplatz gestalten und das Einkaufen zum Erlebnis machen. (…) Wir werden Kochangebote in Märkten veranstalten. Da kocht dann einer was vor, und anschließend nehmen Sie sich alle Zutaten mit und kochen zu Hause in fünf Minuten nach. Das ist mehr als pures Einkaufen.”
Die Zubereitung: Tische mit Sonderangeboten aus dem Markt räumen, aufbewahren; den Showkoch zwischen Konservenregal und Kühltheke ein deftiges Spargelsüppchen zubereiten lassen. Vorbeilaufende Kunden von der Showkochbegleitung mit dem Versprechen “Hier geht heute keiner hungrig raus!” anflöten, einfangen und zum Testessen überreden. Irritierte Blicke vorher abtropfen lassen. Zum Schluss entsprechende Rezeptblätter auf die gesättigten Kunden geben und abservieren.
Noch schöner wird so ein Showkochen mit der entsprechenden Verzierung: Promotion-Stände von Herstellern, die Milchprodukte und Kochbananen verköstigen, an wackeligen Stehtischen ca. 2 Meter davor positionieren. Wahlweise mit einem Selbstgebackene-Kuchen-Büffet auf Bierbänken garnieren.
Das Urteil: Fürs Sommerfest im Kindergarten oder das Vereinsgrillen wäre das ein echter Hit – aber im durchdesignten Rewe-Markt mit den glänzenden Bodenfliesen, den modernen Kühltheken und dem ausgefeilten Lichtkonzept wirkt die improvisierte Aktion eher fehl am Platz. Tipp: Wenn Kunden beim Spargelsüppchennachkochen zuhause feststellen, dass beim mitgenommenen Rezept weder die Angaben zur Zubereitung vollständig sind noch die Mengenangaben stimmen, macht sie das nicht besonders glücklich.
Dazu passt: der Rewe-Plan, in Köln ein supermarktangeschlossenes Pasta-Bistro zu testen. Hoffentlich ohne Bierbänke.
Mag jemand Nachschlag?
Fotos: Supermarktblog