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Channel: Peer Schader, Autor bei Supermarktblog
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Konkurrenz für Hello Fresh: Lidl bringt „Unsere Kochtüte“ von Kochzauber ins Kühlregal

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Kunden mit akuter Koch- und Zubereitungsallergie haben es im Supermarkt oft nicht einfach. Schon die Passage durch die Obst- und Gemüseabteilung gleicht einem Spießrutenlauf: vorbei an Auslagen voller Produkte, die nach dem Einkauf gewaschen, geschält, womöglich entkernt und geschnitten werden wollen – ein Horror! Hinter Fleisch- und Fischtheken warten Bedienkräfte geradezu darauf, unrealistische Portionierinstruktionen entgegen zu nehmen, um den ungeschulten Lebensmittelverwender mit vorwurfsvollem Blick zu enttarnen. Vielen bleibt bloß der rettende Sprung in die Kühlabteilung, wo Fertiggerichte Linderung versprechen, indem sie den Vorbereitungsprozess in der heimischen Küche aufs Abreißen von Schutzfolien reduzieren. Den Rest erledigt die Mikrowelle.

Weil Folienaufreißen auf Dauer aber auch keine Lösung ist, kommt Lidl den Kochallergikern jetzt ein Stück weit entgegen. Und nimmt sie bei der Zubereitung ihres Abendessens an die Hand.

In 20 Berliner Filialen testet der Discounter seit diesem Monat den Verkauf von Kochboxen, die sämtliche Zutaten für ein Abendessen enthalten, das Schritt für Schritt nach dem beiliegenden Rezept gekocht werden kann. Bloß dass die Kochbox keine Box ist – sondern eine Tüte: „Unsere Kochtüte“.

Drin stecken die grundlegenden Zutaten für ein (auf der Packung abgebildetes) Essen für zwei, eine Variante mit Fleisch, eine zweite vegetarisch. Die Rezepte wechseln wöchentlich. Auf Supermarktblog-Anfrage erklärt Lidl:

„Das ermöglicht unseren Kunden, zu Hause schnell und einfach selbst zu kochen. Da jede Tüte die Zutaten für genau zwei Portionen enthält, fallen im Haushalt weniger Küchenabfälle an.“

In dieser Woche gibt’s „Schweinefiletmedaillons mit Süßkartoffel-Karotten-Püree und saurer Sahne“ und „Käsespätzle mit geschmalzten Zwiebeln und fruchtigem Salat“.

Vorne auf der Tüte steht gut sichtbar die benötigte Zubereitungszeit („Für 2 / 30 Min.“), hintendrauf die Kalorienangabe sowie eine sehr ausführliche Zutatenliste inklusive vorbildlicher Herkunftskennzeichnung.

Plakate im Eingangsbereich der Filialen weisen unübersehbar auf die Sortimentserweiterung hin („Jetzt NEU im Kühlregal“). Darunter steht – genau wie auf der Kochtüte – der Absender des Angebots:

„ein Service von Kochzauber“

Im November 2015 hatte Lidl das Berliner Kochboxen-Start-up überraschend vor der Insolvenz bewahrt und weiter betrieben, im Vergleich mit dem Hauptkonkurrenten Hello Fresh nahezu geräuschlos. Vor ziemlich genau einem Jahr wurden in Berliner Lidl-Filialen dann testweise Gutscheine für die per Post bestellbaren Kochboxen verteilt (siehe Supermarktblog).

Auf Anfrage erklärte Lidl damals, man wolle „durch die Zusammenarbeit mit dem Start-Up-Unternehmen (…) unsere Kompetenzen im Nach-Hause-Lieferservice deutlich ausbauen“. Und: Kochzauber solle „als eigenständiges Unternehmen mit einer eigenen Marke weiterhin am Markt tätig bleiben“.

Sonderlich viel ist danach nicht passiert. Dabei lag es eigentlich nahe, das Angebot auch in den stationären Läden zu testen, um Kunden anzusprechen, die keine Lust auf ein Abomodell haben oder selten zuhause sind, um regelmäßig Boxen in Empfang zu nehmen.

Lidl als Kochtüten-Absender

Genau das hat Lidl jetzt mit Verspätung umgesetzt. „Unsere Kochtüte“ kostet im Laden 9,99 Euro, die enthaltenen Gerichte sind damit (pro Person) etwas günstiger als in den klassischen Kochzauber-Boxen (6,50 Euro vs. Discount-affinere 5 Euro). Das könnte auch daran liegen, dass die Laden-Variante außer klassischen Markenprodukte auch Lidl-Eigenmarken beinhaltet (beim Spätzle-Rezept z.B. Milbona-Emmentaler). Außerdem entfällt natürlich der Versand.

Online auf lidl.de ist „Unsere Kochtüte“ nicht verfügbar.

Interessant ist, dass der Discounter trotz des Hinweises auf den Partner („ein Service von Kochzauber“) als eigentlicher Absender des Angebots auftritt. Das (ziemlich moderne) Verpackungsdesign orientiert sich klar und deutlich am neuen Lidl-Auftritt mit dem weißen Kassenzettel als wiederkehrendem Element. Außerdem steht das Logo des Discounters vorne auf der Tüte und die Plakate versprechen: „Mehr Freude am Kochen“.

Ein Lidl-Sprecher erklärt:

„Mit dem neuen Angebot der Kochtüten verschmelzen Lidl und Kochzauber stärker miteinander. Dies bietet uns die Möglichkeit, Synergien effektiver zu nutzen und die jeweiligen Stärken des einen Partners auf das Geschäftsfeld des anderen zu übertragen.“

Ob Lidl sich eine bundesweite Einführung vorstellen kann, lässt der Discounter auf Anfrage offen.

Kochboxen-Hype geht an die Börse

Das Angebot passt jedenfalls gut in Lidls Strategie, sein Discount-Konzept ein Stück weit Richtung Supermarkt zu rücken und damit auch jüngere Kunden anzusprechen.

Vor allem fällt der Test aber in eine Zeit, in der der internationale Hype um die Mahlzeitbaukästen sich so langsam seinem Höhepunkt zu näheren scheint. In den USA strebt der Kochboxen-Versender Blue Apron gerade an die Börse und ruft eine Bewertung von unglaublichen 3 Milliarden Dollar auf. Das liegt auch an der Zuversicht, weiter wachsen zu können. Eine bei Euromonitor in Auftrag gegebenen Studie prognostiziert bis 2020 ein jährliches Wachstun der Online-Umsätze in der US-Gastronomie um 22,6 Prozent (siehe S.4/5), von dem die Versender ein großes Stück abhaben wollen.

In Deutschland gehört das Pendant Hello Fresh zu den wenigen verbliebenen Hoffnungsträgern des Start-up-Investores Rocket Internet. Auf der K5 Berlin (siehe Supermarktblog) prognostizierte Venture-Capital-Experte Sven Schmidt in der vergangenen Woche, dass Rocket nach dem Lieferdienstkonglomerat Delivery Hero zeitnah auch Hello Fresh an die Börse schicken könnte (hier im Podcast der Online Marketing Rockstars zum Nachhören).

Während sich der Kochboxen-Versender im deutschen Heimatmarkt weiter aufs klassische Geschäft konzentriert, versucht man sich in Großbritannien seit einiger Zeit flexibler aufzustellen: Im März eröffnete Hello Fresh im Londoner Stadtteil Shoreditch einen Pop-up-Store, aus dem Boxen an hungrige Tube-Pendler verkauft wurden (das vergessen Sie ruhig gleich wieder).

Und erst kürzlich hat das Start-up eine Allianz mit der zweitgrößten britischen Supermarktkette Sainsbury’s geschlossen, die seitdem (abgespeckte) Hello-Fresh-Kochboxen in ihren Filialen verkauft.

In jedem „Recipe Kit“ ist „everything you need to cook“. Ein Gericht für zwei Personen kostet 10 Pfund. Der Verkauf startete zunächst in 35 Filialen, könnte aber aufs ganze Land ausgeweitet werden, wie ein Sainsbury’s-Sprecher dem Branchenmagazin „The Grocer“ bestätigte (Paywall).

Sainsbury’s gehört damit in Großbritannien eher zu den Nachzüglern. Bereits im vergangenen Herbst stellte Konkurrent Tesco „Recipe Boxes“ unter eigenem Namen ins Kühlregal (für 8 Pfund). Noch ein bisschen schneller war Waitrose mit seinem Angebot „Dinner for Tonight“ …


Foto: Waitrose

… das aber nach kurzer Zeit schon wieder eingestellt wurde. (Tesco, ähm, schwankt womöglich noch.) Ganz aufgeben mag Waitrose die Kochboxen-Idee aber noch nicht, und schickt seinen Kunden Mahlzeitbaukästen nun wie die Konkurrenz direkt nachhause, nämlich unter dem neuen Namen „Cook well from Waitrose“. Ein durchschlagender Erfolg war bislang offensichtlich keine der Initiativen. Allerdings ist die Folienaufreißkonkurrenz in britischen Supermärkten auch sehr viel größer als hierzulande.

Rezeptsupport für Spontanentschlossene

Die deutschen Supermärkte experimentieren im Vergleich eher zögerlich. Rewe hat(te) sich mit der Rezeptwebsite kochbar.de zusammengetan, die ihre Datenbank mit dem Lieferservice der Handelskette verknüpfte, um die benötigten Zutaten für ausgewählte Rezept direkt in den virtuellen Einkaufswagen der Kunden zu beamen. Und die dahingeschiedene Supermarktkette Kaiser’s kooperierte eine zeitlang mit dem Berliner Kochtaschen-Anbieter Home Eat Home (siehe Supermarktblog).

Aber natürlich ist Lidl durch die enge Verknüpfung mit Kochzauber prädestiniert dafür, die Kochtüten auch im Laden anzubieten. Einerseits, um Spontanentschlossene zu gewinnen, die sich erst im Laden für den Rezeptsupport entscheiden. Und andererseits, um Erstkäufer zu regelmäßigen Kochzauber-Kunden zu machen: Außer Lebensmitteln und Anleitung liegt jeder Kochtüte nämlich auch ein 20-Euro-Gutschein für Online-Besteller bei.

Der einzige Nachteil (für Lidl) ist: Die Tüten nehmen im Kühlregal ziemlich viel Platz weg. In einen Karton passen gerade einmal drei hintereinander. Damit sich das auch in kleineren Stadtfilialen lohnt, wo hungrige Abendeinkäufer die ideale Zielgruppe wären, muss sich „Unsere Kochtüte“ also vermutlich richtig, richtig gut verkaufen.

Darf’s ein bisschen günstiger sein?

Das könnte schwierig werden. Nicht nur, weil die Rezepte wirklich arg simpel gehalten sind: Die Kochanleitung für die „Käsespätzle mit geschmalzten Zwiebeln und fruchtigem Salat“ besteht im wesentlichen daraus, 200 Gramm Reibekäse auf angebratene Fertigspätzle zu donnern, nachdem ein paar Zwiebeln angeschwitzt und ein Salat dazu gewaschen wurde(n).

Für absolute Kochanfänger mag das ein Erlebnis sein. Aber auch die sind ja von Lidl in den vergangenen Monaten geschult worden, beim Einkaufen die Wahl zu haben. Sie erinnern sich an die Kampagne, oder?

Das machen wir jetzt auch:

DU HAST DIE WAHL.
Teuer eintüten oder günstig selbst kaufen?

Denn selbstverständlich lassen sich die Zutaten für die Rezepte aus „Unsere Kochtüte“ bei Lidl auch einzeln einkaufen, noch dazu als durchweg günstigere Eigenmarken, wie wir gelernt haben.

Ich hab da schon mal was vorbereitet:

  • Schwäbische Spätzle (500 g, Chef Select statt Bürger): 0,95 Euro
  • Milbona Emmentaler, gerieben (200 g): 1,35 Euro
  • Zwiebeln (im Netz, anteilig gerechnet für ca. 200 g): 0,12 Euro
  • 2 Salatherzen (Romana nicht verfügbar, desh.: bicolor): 0,69 Euro
  • Salatkerne (Alesto 175 g statt Kluth 50 g): 1,79 Euro
  • 2 Nektarinen (ca. 270 g): 0,54 Euro

(alle Preise: Lidl in Berlin, 26. Juni 2017)

Macht zusammen: 5,44 Euro für 2 Portionen – also knapp die Hälfte dessen, was es kostet, wenn Kochzauber die Vorauswahl trifft und ein simples Rezept mit hübsch fotografiertem Serviervorschlag dazu legt (zur Erinnerung: 9,99 Euro). Wenn Lidl es tatsächlich schafft, dieses Konzept bei Cent-kritischen Discountkunden zum Erfolg zu führen, dann wär das in der Tat – Zauberei.

Fotos: Supermarktblog"

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