„Wir öffnen Kasse zwei für Sie“, kündet die Ansage im deutschen Discount, und an Kasse eins muss sich die wartende Kundschaft in diesem Moment entscheiden, ob sie zu riskieren bereit ist, mit dem Hechtsprung an das anrollende Kassenband nebenan an Gleichgesinnten zu zerschellen – oder doch weiter die Geduld aufbringt, den stauverursachenden EC-Karten-Falschherumeinstecker in der eigenen Reihe abzuwarten.
So sehr sich Supermärkte und Discounter auch bemühen, ihren Kunden den Besuch im Laden möglichst angenehm zu gestalten: Auf den letzten Metern vor Abschluss der ersehnten Lebensmitteltransaktion ist die große Annehmlichkeitsoffensive bislang ausgeblieben. (Wenn man mal von der schneckentempohaften SB-Kassen-Etablierung absieht.)
Im europäischen Ausland sind Handelsketten oft experimentierfreudiger (siehe Supermarktblog, Supermarktblog und Supermarktblog).
Auch in den USA hat selbst Aldi erkannt, dass es bei aller Sparsamkeit keine gute Idee sein kann, die Freude über den günstigen Erwerb des kalorischen Tagesbedarfs durch vorhersehbare Kassenstaus zu schmälen. Warten müssen die Kunden dort zwar immer noch. Aber auf einem völlig anderen Service-Level.
Trader Joe’s: Reißverschlussanstehen
Zwei Schlangen, 30 besetzte Kassentresen, ganz vorne die Winkaufsicht: So einfach kann ein funktionierendes Anstehsystem sein. Wer bei Aldis US-Ableger das erste Mal seine Bezahlabsicht kundtut, kriegt es unweigerlich mit der Angst zu tun, wenn er dafür durch den halben Laden zurücklatschen muss, um ein Plätzchen am Ende der gewaltig langen Menschenreihe zu erwerben, die Ähnliches anstrebt. Dafür ist das Schlimmste dann schon überstanden und es geht zackig voran – egal, ob bei Hochbetrieb oder im (seltenen) Einkaufskoma.
Frei werdende Tresenkassierer signalisieren ihr Nummerntäfelchen schwenkend potenzielle Bereitschaft für den nächsten Zahlvorgang, und bevor der Kunde bei all dem Geschwenke erkannt hat, wohin er eilen darf, hat die adleraugige Winkaufsicht die Position bereits erkannt und angesagt. Immer schön im Reißverschlusssystem, erst der Kunde in Schlange 1, dann der in Schlange 2, dann wieder von vorn, ältere Damen haben im Zweifel Vortritt.
Zu Stoßzeiten wird die Choreographie leicht erweitert. Dann stehen zusätzliche Schlangenendenkennzeichner im Laden, die freundlich rufen, dass man sich „Bitte hier anstellen“ soll, weil vor ihnen das „end of line“ erreicht ist, wie es auf dem handgeschriebenen Hinweisschild steht.
Einziger Nachteil ist, dass der für die Warterei vorgesehene Platz zwischen den Absperrpfosten so gut wie nie ausreicht und sich die Kundschaft deshalb bis weit in den Laden hinein verkettet, was denen, die dort noch einkaufen, zur unüberwindbaren Barriere in Richtung Tiefkühlsortiment werden kann.
Dafür hat Trader Joe’s ein Herz für alle, die schon stehen – und erst kurz vor dem Ziel merken, dass sie die Hauptzutat fürs Abendessen mitzunehmen vergessen haben. Macht nichts: Das erledigt gerne der freundliche Restebesorger, der beim Schlangenabschreiten fragt, ob wem noch was fehlt. Oder vielleicht was zurückgelegt werden soll, weil man sich umentschieden hat. (Bestimmt nicht den leckeren Erbsensnack.)
Und, ja: Wir reden hier immer noch vom Discount.
Whole Foods: Wege in die Dreifarbigkeit
In den Bioläden der neuen Amazon-Flamme Whole Foods Klar geht das sogar noch eine Spur elaborierter. Für die anspruchsvolle Kundschaft hat die vor’s Reißverschlussverfahren als zusätzliche Schwierigkeitsstufe ein Zwei-Wege-System gesetzt: Mit „15 items or less“ geht’s links zum „Express“, „15 items or more“ führen rechts Richtung „Local“-Schlange – und wer die exakte Mitte in den Einkaufskorb abgezählt hat, darf sich für einen kurzen Moment als Anstellkönig fühlen und hat die freie Wahl.
Was für die Entscheidungsfindung aber nicht unbedingt hilfreich ist. Weil sich innerhalb weniger Sekunden so schwer abwägen lässt, ob es in der blauen Schlange wohl schneller voran geht als in der beigen – und wie sich wiederum die braune dazu verhält.
Ist am Ende vermutlich eh egal: Die Winkaufsicht hat Whole Foods nämlich durch eine Computeranzeige ersetzt, die auf großen Monitoren über den Wartenden anzeigt, welche Kasse gerade frei geworden ist und diese einer von drei gemeinsam anstehenden Farbschlangen zuteilt. Was einen so ungeheuer fairen Eindruck macht, dass man kaum mitbekommt, wie der eigene Einkauf vom Kassierer bereits in zwei doppelt gesteckte Papiertragetaschen versenkt wird, in denen man vermutlich auch ein Baby-Rhinozeros problemlos durch die Stadt transportieren könnte.
Also: Es sei denn, man überlegt sich’s noch schnell anders und geht lieber ein Eis mit dem Rhino essen. Dann bringt Whole Foods die gepackten Tüten zum Aufpreis von 4,95 Dollar innerhalb eines Zwei-Stunden-Zeitfensters am selben Tag nachhause. (In einem klar definierten Umkreis, der im Laden aushängt.)
Es ist nur nicht so ganz klar, ob das alles so ausgeklügelt ist, weil sich amerikanische Supermarktketten ganz besonders anstrengen, ihren Kunden zu gefallen – oder doch eher, weil sie ihnen nicht zutrauen, den Anstehprozess eigenmächtig zu bewältigen. Um wirklich ganz sicher zu gehen, dass alles klappt, hat Whole Foods jedenfalls eine der wichtigsten Grundlagen der Kassenschlangenbenutzung noch mal auf ein Schild geschrieben.
Drauf steht:
„3 Schlangen. Wählen Sie die kürzeste.“
Muss man sich halt überlegen, ob man beim Einkauf gut bedient werden möchte. Oder doch lieber für voll genommen.
P.S.: Liebe künstliche Amazon-Go-Kassenintelligenz, kurze Frage, bevor du endgültig an den Start gehst: Bist du wirklich ganz, ganz sicher, dass du (z.B.) dem New Yorker Mittagsgeschäft gewachsen wärst? Dann: Hochachtung! Andernfalls fragst du vielleicht hat besser noch mal eines deiner neuen Stiefgeschwister, wie die das jeden Tag hinkriegen ohne dabei abzurauchen:
Fotos: Supermarktblog