Dass Dieter Hiebers Frische Center in Bad Krozingen so anders aussieht als die meisten deutschen Supermärkte, hat gute Gründe. Einer davon öffnet jeden Morgen ein paar hundert Meter stadteinwärts, heißt Aldi und steht stellvertretend für vieles, von dem Hieber sich abheben will. Längst werben die Discounter nicht mehr nur mit dem Versprechen, die niedrigsten Preise zu bieten. Auch die Auswahl wird größer. Bei Aldi gibt es Tofu, bei Lidl Feinkost und bei Netto (ohne Hund) haufenweise Markenartikel.
Kein Supermarkt kann da mehr mithalten, indem er bloß mehr Artikel in den Laden stellt.
Hieber glaubt, dass sich die Supermärkte im Konkurrenzkampf mit den Discountern völlig neu erfinden müssen:
“In Deutschland sind wir da noch viel zu brav. Wir müssen von den reinen Standards zu individuellen, schön inszenierten Sortimenten kommen.”
Sein eigenes Rezept heißt Emotionalisierung. Die Kunden sollen sich in ihrem Supermarkt wohlfühlen. So wie ganz früher beim Laden um die Ecke.
In Hiebers Edeka-Märkten geht das nicht nur übers Design. Der Umgang mit Mitarbeitern und die Rolle, die der Händler selbst spielt, sind genauso wichtig. Letzteres ist leichter gesagt als getan.
Als die Discounter in Mode kamen, passten sich viele Supermärkte an und schafften ihre Bedientheken zu Gunsten von Selbstbedienungstruhen ab. Das war ein Fehler. Inzwischen versuchen es viele Händler wieder mit starkem Service. Hieber ist der Überzeugung, dass es sich lohnt, noch einen Schritt weiter zu gehen. Er glaubt, seinen Kunden nicht nur sagen zu müssen, von welchem Bauernhof aus der Region das Fleisch kommt, dass sie bei ihm im Laden kriegen. Sondern will auch versprechen können, dass es bei der Verarbeitung mit rechten Dingen zugegangen ist:
“Ich versuche, mich mit den Bauern abzusprechen, welche Futtermittel und welches Düngemittel benutzt werden – und Einfluss darauf zu nehmen.”
Im Grunde genommen ist das die logische Konsequenz aus den Skandalen, die in schöner Regelmäßigkeit dafür sorgen, dass wir uns die Frage stellen, wie eigentlich unsere Lebensmittel hergestellt werden. Und warum das so kompliziert sein muss. “Ich bin überzeugt davon, dass da noch viele Skandale kommen werden”, sagt Hieber.
“Und ich bin ehrlich: Das spielt uns in die Hände. Weil die Verbraucher lernen müssen, dass gute Lebensmittel Geld kosten. Vielleicht lassen sich Computer immer noch billiger produzieren. Bei Lebensmitteln ist die Grenze aber längst erreicht.”
Das so plausibel zu erklären, dass es auch die Mehrheit der Kunden akzeptiert, ist keine kleine Herausforderung. Aber vermutlich hilft es, wenn das ein Kaufmann macht, bei dem man als Kunde im Laden kein Studium der Agrarwirtschaft abgeschlossen haben muss, um durchzublicken. ”Unser Ziel ist es, dass sich der Kunde darauf verlassen kann. Dass alles, was bei uns in der Theke ist, ohne Sorge gekauft werden kann”, meint Hieber.
“Die Leute erwarten, dass sich der Handel um sowas kümmert. Wenn der Dornhai wegen Schillerlocken auf der roten Liste stehen, dann gibt es das bei uns nicht. Punkt.”
Um Vertrauen aufzubauen, lässt Hieber Kunden außerdem im Kundenrat mitbestimmen, wie seine Läden aussehen sollen, er veranstaltet Weinproben, veröffentlicht “Umweltrichtlinien” und hat ein eigenes “Gütesiegel”. Immer mit dem Ziel, dass die Leute wiederkommen und sagen: Wenn wir’s einem Supermarkt zutrauen, dass er was richtig macht, dann dem!
Zum Richtigmachen gehört auch, dass im Laden keine miesepetrigen Mitarbeiter stehen, die schlecht drauf sind, weil die Arbeitsbedingungen nicht stimmen. Das scheint, wenn man den immer wieder auftauchenden Medienberichten über Ausbeutung und Überwachung Glauben schenkt, bei vielen Ketten jedoch eher die Regel zu sein. Der Handel habe als Arbeitgeber einen ziemlich schlechten Ruf, meint Hieber.
“Und leider ist der oft berechtigt. Die Branche hat ihren Fokus eine zeitlang nur auf die Kunden gerichtet und diese Anstrengungen auf dem Rücken der Mitarbeiter ausgetragen. Das geht so einfach nicht mehr.”
Hiebers Versuch, das zu ändern, beginnt bei einer flexibleren Arbeitsplanung für junge Familien. Und reicht bis in die Umkleidekabine fürs Personal. Im ersten Stock des Markts in Bad Krozingen gibt es einen großen Aufenthaltsraum mit Internetanschluss und einen Schulungsraum mit Terrasse. Die Zimmer mit den Spinden, in denen die Arbeitsklamotten hängen, sind poppig tapeziert, in einem hängt ein Kronleuchter.
“Ich hab das im ersten Markt, in dem ich war, immer gehasst: die dunklen Umkleideräume im Keller, in die man morgens gekommen ist. Deshalb ist hier alles freundlicher, damit der Start in den Tag für die Mitarbeiter anders aussieht”, sagt er.
Damit das funktioniert, müssen natürlich die Kunden mitspielen – und das bedeutet: auch in Krisenzeiten nicht zum Discounter abbiegen, um dort den kompletten Wocheneinkauf zu erledigen. Macht ihm das keine Sorgen, dass all die Anstrengungen umsonst waren, wenn es doch so kommt? Hieber antwortet:
“Ich hab die Erfahrung gemacht, dass die Leute gerade in Zeiten, die wirtschaftlich schwierig sind, eher auf teure Anschaffungen oder Urlaube verzichten, es sich dafür aber zuhause gut gehen lassen wollen.”
Dass unsere Supermärkte künftig alle so aussehen werden wie der schwarze Kubus in Bad Krozingen, ist freilich unwahrscheinlich. Und so mancher kleine Fachhändler wird alles andere als glücklich über die harte Konkurrenz sein, bei der es alles auf einmal zu kaufen gibt.
Aber wenn demnächst wieder irgendwo ein Konzept für den Markt der Zukunft ausgeheckt wird, fahren die Planer vorher hoffentlich dorthin zum Einkaufen. Mindestens um die Erfahrung zu machen, dass es Wichtigeres gibt als ein hochtechnisiertes Inventar, das tausend neue Möglichkeiten erschließt. Weil es oft schon reicht, beim Einkaufen in Ruhe gelassen zu werden, um zufrieden den Laden zu verlassen. Auch in der Zukunft.
Fotos: Supermarktblog