Weil Sie und ich zuviel im Internet bestellen, sahen sich die Logistikprofis von Deutschlands größtem Paketdienst DHL vor einem Monat dazu gezwungen, zum Äußersten zu greifen – und anzukündigen, ihr Netzwerk an Packstationen zu erweitern.
Diese Ankündigungen sind in den vergangenen Jahren zu einer schönen Tradition geworden, die sich ebenso regelmäßig wie folgenlos ereignete. Spürbar verbessert hat sich das Packstation-Roulette für viele Kunden deshalb aber kaum, zumindest nicht in Großstädten (siehe Supermarktblog).
Angesichts steigender Paketmengen* und der Initiative von Amazon, seine Locker überall dort zu platzieren, wo sie sich niet- und nagelfest machen lassen (siehe Supermarktblog), bleibt DHL nun aber wohl nichts mehr anderes übrig, als das, was in den Pressemitteilungen steht, tatsächlich auch umzusetzen.
Bis Ende 2018 sollen „bundesweit (…) mehrere hundert“ neue Packstationen dazu kommen, und zwar mit „mit einem neuen, kompakteren Automatentyp“, der laut DHL auch „an Standorten eingesetzt werden [kann], die für die größeren, bisher üblichen Packstationen ungeeignet sind“. Erste Modelle des neuen Typs seien bereits in Hamburg, München, Frankfurt, Bochum und Köln in Betrieb; man suche „gezielt nach Standorten an zentralen Punkten des öffentlichen Lebens, wie zum Beispiel an Supermärkten oder Bahnhöfen“.
Notfalls tun’s aber auch Discounter.
In bester Handelsgesellschaft
Zumindest hat DHL Deutschlands (bisherigen) Sturm- und Drang-Discounter Lidl davon überzeugt, nochmal eine Ausnahme von seiner in diesem Jahr frisch erworbenen Innovationsallergie zu machen – und die besagten Schlackstationen (wie wir die schlanken Packstationen fortan nennen wollen) an seinen Filialen aufzustellen.
Hier, bitteschön, noch ein großes neues Exemplar aus Berlin:
(Die Stationen sind unterschiedlich groß – je nachdem, wieviel Platz an der jeweiligen Filiale ist.)
Auf Supermarktblog-Anfrage bestätigt die Handelskette:
„Lidl Deutschland testet aktuell an insgesamt sechs Filial-Standorten in Berlin und Hamburg den Einsatz von DHL-Packstationen, die bis Mitte Dezember aufgebaut sein werden.“
Das heißt: Pakete können jetzt, direkt vor Weihnachten, noch keine hineinbestellt werden. Erst wenn es richtig, richtig knapp für den Weihnachtsmann wird.
Da es sich dem Unternehmen zufolge um einen Test handelt, lässt sich noch nicht sagen, ob Lidl dauerhaft zum Packstation-Partner für DHL wird; der Discounter befände sich in diesem Fall aber in allerbester Handelsgesellschaft. Wettbewerber Aldi hat schon seit vielen Jahren ein Plätzchen für die Boxen auf seinen Filialparkplätzen, auch bei Edeka und Rewe können Online-Besteller ihre Pakete aus den gelben Automaten fischen. (Dazu kommt die verstärkte Einrichtung von Paketshops in Supermärkten.)
Viele Standorte auf einen Schlag
Und der Anlauf mit Lidl ist nicht einmal der erste seiner Art, wie der Discounter erklärt:
„Wir können bestätigen, dass wir bereits vor mehreren Jahren den Einsatz von DHL-Packstationen getestet haben. Aufgrund verschiedener Erwägungen hat sich das Unternehmen damals entschlossen, den Test nicht fortzuführen.“
DHL-Paket-CEO Achim Dünnwald kann in Bonn schon mal Daumen drücken, dass es diesmal anders läuft. Denn mit Lidl würde der Paketdienst eine wichtige Allianz dazu gewinnen, über die sich viele neue Standorte auf einen Schlag erschließen ließen.
Das ist auch deshalb nicht ganz unwichtig, weil DHL längst nicht mehr das einzige Unternehmen ist, das sich auf den Parkplätzen der großen Supermarktketten breit, Pardon: schlank zu machen versucht.
Die Abholkonkurrenz wächst
Seit Monaten legt Amazon ein beachtliches Tempo bei der Erschließung neuer Standorte für seine Locker vor. Edeka und dm wurden als Testpartner gewonnen (siehe Supermarktblog); und mit Aldi Süd scheint sich man sich inzwischen fest angefreundet zu haben. Jedenfalls stehen Amazon Locker nicht mehr nur an Aldi-Filialen in den Testgebieten Augsburg (siehe Supermarktblog) und München.
Auch in Köln und im Rhein-Main-Gebiet (Bad Vilbel) macht Aldi sich inzwischen Locker. (Dazu akquiriert Amazon stetig neue Partner; mehr dazu demnächst wieder im Blog-Update).
Zunehmend entdecken auch andere Logistiker die Paketabhol-Thematik für sich und testen, ob sich darauf funktionierende Geschäftsmodelle aufbauen lassen.
- In München ist seit einigen Wochen das Start-up Qool Collect am Start, das nicht nur als gekühlte Click-&-Collect-Station für lokale Händler funktionieren will, sondern als Sammelort für sämtliche Pakete seiner Kunden (siehe Supermarktblog).
- Und das zu LGI Logistis gehörende Start-up Pakadoo hilft künftig nicht mehr nur Unternehmen dabei, die Bestellungen von Mitarbeitern an einen zentralen „Pakadoo Point“ auf der Arbeit zu losten, um ein Paketchaos in der Firma zu vermeiden. 2018 bringt Pakadoo seinen Dienst als aufgepeppte Click-&-Collect-Variante auch in Einkaufscenter und an Verkehrsknotenpunkte. (Mehr dazu hab ich nebenan im K5 Blog aufgeschrieben.)
Kein Licht, kein Dach
Weil DHL den konsequenten Ausbau seines Packstation-Netzwerks so lange hinaus gezögert hat, muss es jetzt schnell gehen – und das kostet.
Womöglich ist der „neue, kompaktere Automatentyp“, der nun aufgestellt wird, also nicht bloß der Möglichkeit geschuldet, zusätzliche Standorte zu erschließen. Zumindest lässt es sich als schönen Nebeneffekt bezeichnen, dass DHL die Schlackstationen deutlich günstiger kommen dürften als alle bisherigen Modelle.
Im Gegensatz zu früheren Generationen hat die jüngste nämlich kein Regendach mehr, nicht mal mehr ein angedeutetes. Mit separater Beleuchtung für Spätabholer ist auch Sense. Und das Display, auf dem Kunden ihren Abholwunsch kundtun müssen, ist nicht mehr sehr viel größer als der Screen moderner Smartphones.
Ältere Modelle sehen dagegen nicht nur, nun ja: älter aus. Sondern auch geradezu verschwenderisch luxuriös. Hier ein Exemplar aus einer fernen Zeit an einem Berliner Aldi-Nord-Markt:
Das mit den Schlackstationen kann man natürlich so machen, wenn man es okay findet, die eigenen Kunden ihre Pakete nachts im Dunkeln auf Discounter-Parkplätzen abholen zu lassen. (Obwohl selbst die sonst nicht gerade üppig ausgestatteten Amazon Locker ihren Bedienern in der Draußenvariante minimales Licht spendieren.) Schließlich zählt in erster Linie, dass mehr Fächer für mehr Sendungen zur Verfügung stehen.
Dann aber wie DHL zu behaupten, man erhöhe „auch die Nutzerfreundlichkeit der Packstationen“, ist ziemlich frech.
Vor allem, weil für viele Kunden zunächst einmal das Gegenteil zutrifft: Ein weiteres wesentliches Merkmal der neuen Schlackstationen ist nämlich der fehlende Kartenschlitz, der (wenn mich nicht alles täuscht) seit der ersten Generation an allen Modellen vorhanden war. Das Karteneinstecken entfällt am neuen Automatentyp. Wer sein Paket befreien will, muss dafür künftig seine Karte vor den Barcode-Scanner halten. (So weit, so gut.)
Neue Stationen mögen keine alten Karten
Das dürfte auch der Grund dafür sein, dass DHL eine „neue Kundenkarte“ angekündigt hat, die „neben dem bisherigen Magnetstreifen auch über einen zusätzlichen Barcode [verfügt], der die Nutzung der Packstation nochmals vereinfacht“. Also: vorausgesetzt, man hat eine der neuen Karten.
Die werden Packstation-Nutzern allerdings nicht automatisch zugeschickt (das würde ja kosten), sondern „zunächst an neu registrierte Kunden ausgehändigt“ bzw. auf Nachfrage ersetzt, wenn Karten als verloren oder defekt gemeldet werden.
Anders formuliert: Für alle bisherigen Packstation-Nutzer ist die bislang im Portemonnaie mitgeschleppte Karte an den Schlackstationen praktisch nutzlos – sie lässt sich dort wegen des fehlenden Barcodes schlicht und einfach nicht mehr verwenden. Stattdessen muss die Postnummer zusammen mit der mTAN über das Mini-Display eingegeben werden.
Das ist nicht weiter tragisch – aber halt auch keine „Vereinfachung“, wie DHL dreist behauptet. Und wirkt vor allem so, als seien die Neuerungen ziemlich kurzfristig herbeigezaubert worden. Sonst hätte DHL – im Wissen, dass ein neuer Stationstyp zum Einsatz kommen soll – ja schon vor Monaten damit beginnen können, Barcodes auf Kundenkarten zu drucken, um jetzt möglichst viele Nutzer davon profitieren zu lassen.
Der Kunde kriegt’s schon irgendwie mit
Immerhin passt diese Art von „Strategie“ ganz gut ins Bild eines Unternehmens, das sich mit technischen Innovationen, deren Alltagstauglichkeit zumindest bezweifelt werden darf, gerne in den Medien aufplustert – und einfache Neuerungen, die vielen DHL-Kunden (und Zustellern und Händlern) den Paketalltag sofort vereinfach würden, nicht auf die Reihe kriegt.
Und das seinen Kunden nicht mal kommunizieren kann: Wir wollen mehr Packstationen aufstellen, müssen aber auch aufs Geld achten, deshalb wird das an neuen Stationen mit alten Karten vielleicht ein bisschen unpraktisch.
Sondern lieber flunkert, dass alles noch besser wird.
Apropos kommunizieren: Seine Kunden scheint DHL über die Neuigkeiten bislang noch nicht informiert zu haben. Falls Ihnen Gegenteiliges ins E-Mail-Postfach geflattert ist: schreiben Sie’s doch für uns alle in die Kommentare. Vielen Dank! Und weiterhin frohes Paketjagen im Advent.
Mit Dank an Supermarktblog-Leser Dominik!
Fotos: Supermarktblog
*Der Bundesverband Paket und Expresslogistik mit der rätselhaften Abkürzung BIEK hat ausgerechnet, dass die Paketdienste in Deutschland im vergangenen Jahr erstmals mehr als 3 Milliarden Pakete transportiert haben. 2021 sollen es jährlich schon mehr als 4 Milliarden sein. [zurück]
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