Das Vorwort zur gerade erschienenen Dezember-Ausgabe von Temmas „Marktblatt“, in dem monatlich Produkte empfohlen und Lieferanten porträtiert werden, ist trotz Vorweihnachtszeit erstaunlich besinnlich geraten.
Christiane Speck, die Erfinderin des Rewe-Biomarkt-Ablegers, schreibt darin an die „lieben Temma-Freunde“:
„[D]as war’s mal wieder – jetzt ist auch 2017 schon fast vorbei! Für viele war es vielleicht kein einfaches Jahr und doch haben wir auch viel gelacht. Ganz nach unserem Motto: wir sehen alles als Chance. Auch wenn diese manchmal auf den ersten Blick nicht zu erkennen ist, steckt sie in fast jeder Situation und Veränderung.“
Öh? Das liest sich so, als schriebe Speck vor allem an sich selbst (und ihre Mitarbeiter).
Genau so ist es wohl auch. Laut „Kölner Stadt-Anzeiger“ schließt Rewe im Januar sieben von neun Temma-Filialen (in Bad Homburg, Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg). Außerdem weiß die Zeitung:
„Die beiden Kölner Temma-Märkte in Braunsfeld und Bayenthal werden im April an die ehemalige Rewe-Managerin Christiane Speck verkauft und als Bio-Fachhandelsmärkte unter der Marke Temma weitergeführt.“
In den vergangenen Jahren war es Rewe einerseits nicht gelungen, das Temma-Konzept so weiterzuentwickeln, dass es eine größere Expansion gerechtfertigt hätte. Andererseits ließ sich der Handelskonzern damit auch unnötig viel Zeit. Während Bio-Wettbewerber wie denn’s und Alnatura stetig neue Märkte eröffne(te)n, stagnierte die Zahl der Temma-Filialen seit längerer Zeit (siehe Supermarktblog).
Ursprünglich bestand laut „Lebensmittel Zeitung“ (Paywall) noch vor einigen Monaten die Möglichkeit, einen Teil der Temma-Ideen in größere Supermärkte hinein zu retten und dort z.B. Inseln für besondere Bio-Produkte zu etablieren. Offensichtlich hat man sich in Köln dagegen entschieden.
Aus Temma wird Penny
Bereits bei der Jahrespressekonferenz Ende März war der (damals designierte) neue Rewe-Vorstandsvorsitzende Lionel Souque auffällig vorsichtig mit Bekenntnissen zur Zukunftsfähigkeit des Biomarkt-Konzepts (siehe Supermarktblog) und erklärte:
„Jeden Temma-Standort könnten wir von den Anforderungen auch mit Rewe City besetzen, das sofort Geld verdient.“
Genau das dürfte mit den bisherigen Temma-Standorten wohl auch geschehen. Außer im Untergeschoss des Berliner Einkaufszentrums Quartier 205, wo es unterhalb des Rewe-Group-Hauptstadtbüros bereits einen Rewe City gibt. Nach Supermarktblog-Informationen will das Unternehmen auf der daneben gelegenen Temma-Fläche sein Discount-Konzept Penny eröffnen.
Rewe äußert sich dazu auf Anfrage nicht.
Was in diesem Zuge aus Rewes Systemgastronomie-Versuch Oh Angie! wird, den die Kölner seit einem Jahr einen langsamen Tod sterben lassen, ist ungewiss.
Die Restaurants in Berlin Prenzlauer Berg und Heppenheim wurden innerhalb der vergangenen zwölf Monate geschlossen (siehe Supermarktblog). Ob sich Oh Angie! in Berlin-Mitte halten kann, wenn aus dem „Marktplatz für Genuss, Bio und Kommunikation“ (wie Rewe sein Einkaufs-Gastro-Ensemble zur Eröffnung 2014 euphorisch ankündigte) ein Vorplatz für vorbeieilende Discount-Kunden wird, ist zumindest fraglich.
Nun mag es richtig sein, nicht ewig an Konzepten festzuhalten, die sich nicht zu einem nachhaltigen Erfolg führen lassen. (Oder zumindest: nicht im Verbund der Rewe.)
Allerdings ist es schon beachtlich, dass jede Innovation, mit der die Kölner in den vergangenen Jahren einen Schritt aus ihrer gewohnten Handelswelt heraus gewagt haben, inzwischen als gescheitert betrachtet werden muss. Dabei waren die Impulse, aus einem klassischen Handelsunternehmen eine moderne Anlaufstelle für Lebensmittel- und Gastronomie-Kompetenz zu machen, angesichts der Herausforderungen für die Branche eigentlich genau die richtigen.
Experimente? Nicht in Sicht
Davon scheint sich Rewe unter seinem neuen Vorstandsvorsitzenden Lionel Souque, der schon arge Schwierigkeiten hat, die richtigen Schlüsse aus der wachsenden Konkurrenz durch Amazon zu ziehen (siehe Supermarktblog), nach und nach vollständig zu verabschieden.
(Und dass die Modernisierung des klassischen Supermarkt-Geschäfts tatsächlich gelingt, ist derzeit auch alles andere als sicher; mehr dazu steht demnächst im Supermarktblog.)
Weitere Experimente sind derzeit jedenfalls nicht in Sicht. Und mit Speck lässt der Handelskonzern auch noch eine erfahrene Handeslmanagerin ziehen, die genau solche Innovationen hätte weiter vorantreiben können. Rewe selbst mag erstmal gut beschäftigt mit der Integration der ehemaligen Kaiser’s- und Sky-Märkte. Auf lange Sicht verschenkt das Unternehmen aber die Chance, mehr zu sein als der Supermarkt um die Ecke, in dem man abends nach Feierabend noch Schlange stehen muss, weil man vergessen hat, rechtzeitig was einzukaufen.
Ihr „Marktblatt“-Vorwort schließt Temma-Erfinderin Speck in der Dezember-Ausgabe übrigens mit den Worten:
„Bleiben wir auch im neuen Jahr positiv.“
Als Selbsttrost geht das in Ordnung. Auf ihren zukünftigen Ex-Arbeitgeber gemünzt, müsste da aber natürlich ein anderes Wort stehen.
Fotos: Supermarktblog