Erinnern Sie sich noch an die Zeiten, in denen Gäste im Schnellrestaurant elendig langsam in Kassenschlangen vorrücken mussten, um nachher ziemlich slow beim Mitarbeiter am Tresen ihr Fast Food zu bestellen? Diese Zeiten sind vielleicht bald ein für allemal vorbei. Seit einer Weile schon bauen Burgerketten wie McDonald’s Bestellsäulen in ihre Filialen, an denen sich das gewünschte Menü per Touchscreen in Auftrag geben lässt, in der Regel ohne langes Anstehen (siehe Supermarktblog).
Und voraussichtlich ab Sommer müssen regelmäßige Big-Mac-Besteller dafür nicht mal mehr im Laden stehen. Stattdessen können sie aus dem Bus oder der S-Bahn aussteigen, sich in aller Ruhe einen freien Platz im Restaurant suchen und kriegen dort kurze Zeit später das Tablett mit dem gewünschten Menü vor die Nase gestellt.
Das funktioniert natürlich – per Smartphone.
Gerade hat die Fast-Food-Kette eine neue App veröffentlicht, die in den kommenden Monaten mit einer Bestell- und Bezahlfunktion aufgerüstet werden soll („mobile order und pay“).
Mit der können sich Kunden vor ihrem Besuch im Restaurant überlegen, was sie gerne essen möchten. Im Büro, zuhause, unterwegs, wer sich traut auch im Fitnessstudio. Das hat erstmal keine weitere Konsequenz, falls sich spontan eine andere Essensgelegenheit ergibt. Erst wenn man sich in der Nähe eines McDonald’s-Restaurants aufhält, erinnert die App den Smartphone-Besitzer per Geofence-Technologie an die zuvor geäußerte Burger-Launigkeit.
Auf Supermarktblog-Anfrage erklärt ein Sprecher von McDonald’s Deutschland:
„Wenn der Gast etwa 100 Meter von einem Restaurant entfernt ist, fragt die App, ob die Bestellung nun ausgelöst werden soll.“
Anschließend entscheidet sich der Besteller, ob er das Essen im Restaurant an den Tisch gebracht kriegen will oder am Tresen mitnehmen will. Wer motorisiert unterwegs ist, kann seine Bestellung auch direkt zum Drive-in-Schalter lotsen.
Im nächsten Schritt wird per zuvor hinterlegter Kreditkarte bezahlt, erst dann geht die Bestellung an das Restaurant in der Nähe und wird von den Mitarbeitern vorbereitet.
„Die Möglichkeit des mobilen Bestellens und Bezahlen wird Mitte des Jahres pilotiert und nach endgültiger Freigabe kontinuierlich in allen Restaurants der Zukunft ausgerollt“,
heißt es aus dem Unternehmen. Etwa 600 dieser modernisierten „Restaurants der Zukunft“ gibt es bislang, bis Ende 2019 sollen die meisten deutschen McDonald’s-Filialen umgerüstet sein. Bis alle Gäste mobil bestellen können, dürfte es also noch eine Weile dauern. Und auch die notwendige Ortung der Gäste im Laden, die z.B. per Bluetooth-Beacon möglich wäre, muss offensichtlich noch geregelt werden. („Die technischen Möglichkeiten einer Bestellung via App an den Tisch werden derzeit noch getestet und sind aktuell noch nicht final entschieden.“)
Dennoch ist die McDonald’s-Initiative Schritt aus mehreren Gründen bemerkenswert.
1. Nutzer, die ihr Smartphone zur Ortung freigeben, werden nicht mehr nur als wandelnde Werbeziele begriffen.
So agieren derzeit die meisten Unternehmen, wenn sie (potenziellen) Kunden unnötigen Marketing-Unfug und Lockangebote aufs Display pushen, sobald sie in Reichweite eines Ladens sind. Bei der Burger-Bestellung haben Nutzer dagegen den echten Vorteil, die Warteschlange im Restaurant umgehen zu können. Natürlich besteht die Gefahr, dass auch McDonald’s in plötzliche Aktionitis verfällt, wenn sich App-Nutzer ohne akute Bestellabsicht in der Nähe eines Restaurants aufhalten. Bei zu häufigem Einsatz würde damit allerdings die eigentliche Funktion der App torpediert.
2. McDonald’s schafft mit der mobilen Bestell-App faktisch die Warteschlange ab.
Damit kommt die Burgerkette der Erfüllung eines ihrer grundlegenden Versprechens sehr viel näher als bisher: dem des – im wahrsten Sinne des Wortes – Fast Food. Nicht nur der Ablauf eines Besuchs im Schnellrestaurant ändert sich für App-Nutzer grundlegend (aus „anstehen, bezahlen, hinsetzen, essen“ wird „hinsetzen, essen“). Sondern auch die Gewohnheit der Gäste – und deren Erwartungshaltung an andere Branchen, z.B. den Lebensmitteleinzelhandel.
Kurz gesagt: Wer gewohnt ist, im Schnellrestaurant sofort das zu kriegen, was er vorher per App bestellt hat, der wird bald anderswo noch sehr viel weniger Toleranz dafür aufbringen, in langen Kassenschlangen anstehen zu sollen.
SB-Kassen wie sie z.B. Netto (ohne Hund) derzeit in seinen Filialen testet (siehe Supermarktblog) dürften dann schon Mindestvoraussetzung sein, um eilige Kunden überhaupt noch in den Laden zu kriegen. Händler, die eine noch schnellere Abwicklung versprechen können, werden massiv im Vorteil sein.
Dafür wird gar nicht zwangsläufig die Technik von Amazon Go notwendig sein. Sondern im Zweifel auch eine deutlich weniger kompliziert umzusetzende Alternative, sofern die Kunden das Anstehen in Kassenschlangen erspart. Weil das für viele dann zweifellos bereits eine Normalität sein wird, die sie aus anderen Bereichen ihres täglichen Konsums kennen. (Zum Beispiel dem Burger-Restaurant.)
3. Auch scheinbar etablierte Geschäftsmodelle müssen anpassungsfähig bleiben.
Mal ehrlich: McDonald’s gehörte (insbesondere in Deutschland) bislang nicht gerade zu den Unternehmen, die für ihre herausragende Innovationsfähigkeit bekannt waren. Im Gegenteil: Über viele Jahre sah es so aus, als würde der schnelle Theken-Burger langsam aber sicher zum Auslaufmodell, weil er nicht mehr in eine Zeit passte, in der ein (zunehmend gesundheitsorientierter) Ernährungstrend den nächsten ablöst.
Inzwischen sieht es so aus, als käme McDonald’s damit ganz prima zurecht.
Die Kette versucht sich zwar geringfügig an ein sich änderndes Bewusstsein vieler Konsumenten anzupassen und hat z.B. angekündigt, die Kalorienzahl seiner Happy-Meals in den kommenden Jahren auf 600 zu begrenzen. (Arrivederci, Cheeseburger!) Aber im Großen und Ganzen bedient McDonald’s weiter den klassischen Mainstream. Mit dem entscheidenden Unterschied, dass dieser Mainstream es inzwischen gewöhnt ist, sein Essen per App zu bestellen. Und McDonald’s Wege finden muss, diese Möglichkeit in sein bisheriges Geschäftsmodell zu integrieren.
Um bei „McDelivery“ Burger auf Bestellung zu liefern, kooperiert das Unternehmen hierzulande (noch nicht so arg lange) mit den Delivery-Hero-Liefermarken Foodora, Pizza.de und Lieferheld.
Dem „Tagesspiegel“ hat McDonald’s-Deutschland-Chef Holger Beeck kürzlich verraten, dass das durchaus einträglich ist:
„Wir hatten am Anfang einige Kinderkrankheiten, aber jetzt nimmt das Geschäft Fahrt auf. Ich bin sehr zufrieden, und ich gehe davon aus, dass das Liefergeschäft ein Wachstumstreiber für die nächsten Jahre sein wird. Der Durchschnittsbon ist deutlich höher als in den Restaurants.“
Bislang kann in 160 Restaurants bzw. 35 Städten bestellt werden. Beecks Ziel sind „bis zu 200 Restaurants“ und 15 neue Städte. („Ein weiterer Ausbau würde keinen Sinn mehr machen, weil die Städte dann zu klein sind und sich das Geschäft nicht lohnt.“)
In den USA arbeitet McDonald’s derweil mit dem Uber-Ableger UberEats zusammen und kann ebenfalls erstaunliche Erfolge vermelden. 60 Prozent der Liefer-Bestellungen gingen abends oder spätabends ein, erklärte das US-Unternehmen kürzlich. In der Regel wird gleich für mehrere Gäste bestellt. McDonald’s-CFO Kevin Ozan erklärt:
„[…] so the average delivery check is about twice the average restaurant check”,
Das bedeutet: Kunden bestellen im Zweifel mehr, wenn sie nicht im Restaurant sind.
Für alle Branchen, die glauben, neue Technologien würden weder ihr Geschäftsmodell noch die Gewohnheiten ihrer Kunden grundlegend ändern – einfach weil sich das in den Zentralen heute noch niemand vorstellen kann – sollte das ein Wink mit dem Burgerpfahl sein: Eine Fast-Food-Restaurantkette, die ihren Zenith längst überschritten zu haben schien, findet gerade einen Weg, ihr ziemlich in die Jahre gekommenes Geschäftsmodell so zu reformieren, dass die Anpassungen plötzlich als „Wachstumstreiber für die nächsten Jahre“ gelten.
Es braucht schon die hohe Kunst der Autosuggestion, damit sich große Teile des deutschen Lebensmittelhandels weiter erfolgreich einreden können, das alles habe nichts mit ihnen zu tun.
Titelfoto [M]: Supermarktblog