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Channel: Peer Schader, Autor bei Supermarktblog
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Parken vor der Tapezieralm: Billas Landhausmarkt-Konzept und der große Folien-Trugschluss

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Wie stellen sich Supermarktketten in Europa auf Veränderungen im Lebensmitteleinzelhandel ein? Wo lauern neue Herausforderer? Und wie lassen sich in die Jahre gekommene Läden so umgestalten, dass Kunden nicht zur Discount-Konkurrenz wechseln? Das Supermarktblog sucht nach Antworten – auf Eurotour in Frankreich, den Niederlanden, Österreich und Großbritannien. Bisher erschienen:


Nachdem sich die SPD-Basis dazu durchgerungen hat, erneut eine Große Koalition zu wagen, hat Deutschland unter Schwarz-Rot bald seinen ersten Heimatminister. Die Österreicher sind – wie so oft – schon einen Schritt weiter. Unter Rot-Gelb gibt’s dort seit über einem Jahr sogar schon eine eigene Heimatsupermarktkette. Ausgedacht hat sich das die österreichische Rewe-Tochter Billa, in der die Erkenntnis gereift sein muss, dass Lebensmittelgeschäfte oft gar nicht die Orte sind, an denen sich Menschen am liebsten aufhalten, wenn man ihnen die Wahl lässt.

Billa hat es sich zur Mission gemacht, das zu ändern. Und will die eigenen Filialen per Selbsttransformation zu Plätzen machen,

„wo der Kunde im Alltag ist, wo er entspannt, wo er sich zu Hause fühlt.“

So hat es der (damalige) Billa-Vorstandsvorsitzende Josef Siess Ende 2016 anlässlich der Präsentation eines neuen Ladendesigns formuliert, das die Supermärkte mit einer „innovativen POS-Ausrichtung“ (POS ist die umständliche Beschreibung von Verkaufsort und steht für „Point of Sale“) in die Gegenwart katapultieren soll.

Billa verspricht nichts Geringeres als „die Verabschiedung vom klassischen Marktcharakter“, und in der Marketingabteilung hat das zu einem nachhaltigen Begeisterungsschluckauf geführt. Die „neuartige Gesamtinszenierung“ biete ein „Einkaufserlebnis der besonderen Art“, und zwar „im modernen und kulinarischen Küchen- und Haushaltsambiente“, das „zum Verweilen und Gustieren“ einlade (PDF).

Was die Herrschaften nicht dazu gesagt haben, ist: dass diese Leistungen vor allem durch den Einsatz von meterweise Klebefolie erbracht werden sollen.

Im Renovierdelirium

Vielleicht ist das auch nachrangig, wenn die grundlegende Intention stimmt: Läden künftig so zu bauen, dass sie weniger nach (klassischem) Supermarkt aussehen. Und tatsächlich hat die Handelskette in ihrem Renovierdelirium ein paar sehr gute Ansätze zustande gebracht, die sich z.B. im ersten Markt mit dem neuen Konzept besichtigen lassen, der bereits Ende 2016 im im 11. Wiener Gemeindebezirk an der südöstlichen Stadtgrenze eröffnete.

Wenige andere Handelsketten kennzeichnen das im eigenen Land angebaute Obst und Gemüse am Regal so konsequent, schick und auffällig wie Billa mit seinem Österreich-Label „Da komm’ ich her“.

Hinterm Obst und Gemüse sind Sofortessen und Snacks in freistehenden Kühltheken untergebracht – mit direktem Anschluss an den Brötchenknast, der diesen Namen angesichts seiner freundlichen Markisenverkleidung kaum verdient hat.

Die Brötchenauswahl wiederum ist Teil des Thekenquaders, der tief in den Markt hineinragt, und nicht nur die Bedienung von Frischfleisch und Käse zusammenzieht. Mehlspeisen, ein warmes Mittagessen zum Mitnehmen und frisch gebrühten Kaffee gibt’s dort auch.

Wer kurz warten muss, kann sich einen Salat aus der integrierten Feinkost-SB-Theke aussuchen.

Abgesehen von der fast schon rummelig-bunten Sortimentsbeleuchtung ist dieser Frische- und Direktverzehr-Zusammenschluss nicht nur konsequent und modern, sondern scheint auch bestens zu funktionieren: Während meines Besuchs zur Mittagszeit war ordentlich was los an der Theke.

Von der daran anschließenden Weinabteilung fühlt man sich fast überfordert, so eng sind die Flaschen dort gestellt – aber der Eindruck, den Billa vermittelt, ist: Hier ist für jeden Geschmack was dabei.

Bis zum diesem Punkt ließe sich den Ladendesignern auch der erkennbare Hang zur Einrichtungsverkitschung verzeihen. Aber gleich danach steht man plötzlich zwischen den regulären Regalen, die alle, wirklich alle mit weißen Vitrinenschrankoptiken in foliengewordener Landhausromantik beklebt sind. Hinter Klebeglas geräumte Körbe, in denen nichts drin ist; platte Küchenartikel, die nie zur Zubereitung von Mahlzeiten gebraucht werden; Türen und Schubladen, die sich nicht öffnen lassen.

Auch auf dem Kühlmobiliar? Ja, auch auf dem Kühlmobiliar.

Immerhin: An Energieeffizienz sind die Schein-Lampen, die hinter ihre dreidimensionalen Geschwister über die Einweggetränkestapel geklebt wurden, so schnell nicht zu übertreffen.

Oder, um’s mit den Worten des euphorischen Erfinders zu sagen: Willkommen zuhause! Wo Sie sich ja auch erst wohlfühlen, wenn der Crunchips-Pappaufsteller den Weg zum Vitrinenschrank versperrt, der Feuerlöscher hinter einem Red-Bull-Stapel verschwindet, die Küche im Waffelrausch untergeht und ein Aktionspreis-Schilderwald den Ausblick verschönert.

Verweilen und gustieren Sie ruhig noch etwas länger.

Auf den ersten Blick mag das alles einigermaßen charmant sein. Nach einer Weile wirkt es aber vor allem: aufgesetzt, künstlich, albern. Weil der eigentlich ganz ordentliche Laden vorgaukelt, etwas zu sein, das er nicht ist. Zumal die Landhauskulisse an vielen Stellen unübersehbar bröckelt.

Aufgeklebte Fenster, Deo frisch vom Feld

Wenn die Windelbox nicht so recht in den attraktiven „Holz Kasten Look“ (wie Billa die holzgerahmten Minigitterboxen nennt) passt; wenn das „Tief im Land verwurzelt“-Versprechen auch neben den Einwegrasierern hängt und in der Drogerieabteilung die Frische-Zusage „Vom Feld bis hier wird nicht herumgegurkt“ baumelt; wenn die Kunden durch aufgeklebte Fenster auf Wiesen schauen können, wo im Falle der Echtverglasung eine als Werbefläche benutzte Industrieruine sichtbar würde.

Das ist pingelig, ja.

Aber an solchen Pingeligkeiten entscheidet sich oft, ob ein neues Ladenkonzept auch im Alltag funktioniert. Oder bloß im Kopf der Designer, die es sich ausgedacht haben.

Billas Landhausstil-Läden sind die supermarktgewordene Sehnsucht vieler Konsumenten nach einer Lebensmittelwirtschaft, in der ihnen der kleine Bauer von nebenan alles frisch vom Feld holt. Und aufwärmbereit in Plastik foliert.

Diese herbeigesehnte Selbsttäuschung bedient Billa vorzüglich. Sie ist aber genau so dünn wie die dafür benutzten Folien. (Was die Fachpresse nicht davon abhielt, in kollektiver Begeisterung zu vergehen, so wie „Handelszeitung“, „Cash“, Regal.at).

Dennoch muss man der Handelskette, die ihre Innovationskraft in der Vergangenheit ja bereits unter Beweis gestellt hat (siehe Supermarktblog), Respekt zollen: mindestens für den Mut, dieses Prinzip fast schon komödiantisch zu übersteigern. Das liegt in erster Linie – am Parkplatz vor dem Markt. Und der fantastischen Tapezieralm, die sich Billa dahinter gekleistert hat, damit der nackte Beton der angrenzenden Halle die Intensität des beabsichtigen Wohlfühleinkaufs nicht schon vor dessen Beginn empfindlich schmälert.

Eine junge Frau lehnt gut gelaunt an einem reichhaltig Früchte tragenden Apfelbaum, Kühe schauen neugierig zu, wie der Großstädter seinen SUV vor ihnen abstellt, und in der Berghütte nebenan gibt es sicher gleich eine ordentliche Brotzeit.

Der falsche Himmel glänzt strahlend blau mit dem echten um die Wette.

Und am geradezu enttäuschend unspektakulären Supermarktzweckbau daneben steht über der asphaltierten Parkfläche, wie „Tief im Land verwurzelt“ sich hier einkaufen lässt. (Spitzenhumor.)

In schnörkeliger Schrift steht auf einer Tafel an der Einfahrt:

„Schön, dass Sie da sind!“

2016 hieß es noch, dass 2017 „ca. 350 Filialen auf den neuesten Stand“ gebracht würden; ein Jahr später liest sich die Modernisierungs-Bilanz des „Einkaufserlebnis der besonderen Art“ schon deutlich ernüchternder („48 bestehende Filialen wurden umgebaut“, PDF). Vielleicht ja, weil Kunden sich beim Einkaufen zwar gerne wohlfühlen wollen – aber es durchschauen, wenn ihnen diese Atmosphäre bloß mit Abziehbildoptik vorgegaukelt wird.

Selbst wenn die so schön gaga ist wie die Tapezieralm am Kreisverkehr im Industriegebiet am Wiener Stadtrand.

Fotos: Supermarktblog"

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