Häufig werden sie in viel zu kleinen Gitterkäfigen gehalten. In aneinander gereihten Fächern drängeln sich Laugenbrezeln, Frühstücksbrötchen und Buttercroissants auf engstem Raum. Tageslicht sehen sie fast nie in ihren holzimitatverkleideten Backbatterien.
So sieht für viele Backwaren inzwischen der Alltag in Deutschland aus.
Nach dem großen Erfolg von Lidl ist derzeit der Mitbewerber Netto (ohne Hund) damit beschäftigt, seine Filialen mit eigenen Backvollzugsanstalten auszustatten. Wie Supermarktblog-Kommentator McDuck unter diesem Eintrag ergänzt hat, stehen die so genannten “Backstuben” nicht nur im Amberger Discount-Test “Mein Laden”, sondern auch in vielen regulären Filialen. So sieht das aus.
Anders als Lidl verzichtet Netto (ohne Hund) auf einen teuren Anbau und stopft den Brötchenknast direkt in die – oft sowieso schon viel zu kleinen – Filialen. Ein “Backofen” ist direkt in die Front integriert, in manchen Läden reicht’s auch noch für eine Brotschneidemaschine. Damit kann Netto (ohne Hund) es zwar längst nicht mit der Auswahl aufnehmen, die Lidl seinen Kunden bietet, versucht aber, wenigstens so zu tun.
Die Backthekisierung deutscher Supermärkte und Discounter hat damit so langsam ihren Höhepunkt erreicht.
Es gibt nur noch wenige große Ketten, die ihrer Kundschaft nicht meterweise aufgebackene Industriebrötchen in den Einkaufswagen drängeln. (“Backfactory”, “Backwerk” und diverse Kettenbäcker haben ja bereits gute Vorarbeit geleistet.) Rewe forcierte den Absatz der Billigbrötchen in seinen Ost-Filialen gerade mit einem großzügig beworbenen Generalrabatt:
“15 Prozent auf alle frischen Backwaren aus der Backstation!”
In Großbritannien passiert lustigerweise gerade das Gegenteil. Viele Briten scheinen genug vom Fertigbrot zu haben. Diejenigen, die es sich leisten können (oder wollen), kaufen stattdessen in kleinen Bäckereien ein, die vor allem in London wie, äh: Pizzabrötchen aus dem Ofen schießen und nicht nur klassische Handarbeit versprechen, sondern auch auf Zusatzstoffe verzichten. So wie die 1999 im Stadtteil Islington gegründete “Euphorium Bakery”. Sieben Filialen gibt es inzwischen in London. Jetzt ist Euphorium einen Pakt mit dem Supermarktteufel eingegangen (so sehen es jedenfalls manche Indie-Bäcker): mit Tesco.
Einerseits werden Euphorium-Filialen in größeren Tescos integriert. Andererseits passt der Handwerksbäcker mit seinen höheren Preisen nicht so recht zum Kundenprofil des Mainstream-Supermarkts. Deshalb testen die Partner seit kurzem zusammen ein neues Konzept.
Im vergangenen März eröffnete Tesco in seiner Filiale in Hackney das erste “The Bakery Project”, für das sämtliche Designverbrechen des übrigen Ladens ignoriert wurden. In der Mitte der Backbucht, die direkt vom Laden aus zugänglich ist, steht ein großer Holztisch mit frisch gebackenen Broten und Gebäck unter kleinen Häubchen. In einer Kühltheke gibt’s Torten und Kuchen. Vieles lässt sich erstmal probieren.
(Für größere Ansicht bitte anklicken.)
Das (verpackte) Hauptangebot lagert an den Seiten in schlichten, durchnummerierten Regalen (“Bays”): rechts Brote, links Süßes. Der Schwerpunkt liegt auf britischen “Klassikern”, die auch schon vor dem Laden entsprechend aufwändig beworben werden: “The Dundee”, “The Victoria”, “The Battenberg”.
Das Angebot ist ziemlich groß. Die Preise sind (im Vergleich zu den Handwerks-Bäckereien) moderat.
Zwischen den Metallregalen hängen Zutatenlisten und Rezepte zum Zuhausenachbacken.
Außerdem können die Tesco-Kunden immer montags mitentscheiden, was vorübergehend ins Sortiment aufgenommen werden soll, so wie das Knoblauch-Käse-Spinat-Jalapeno-Brot für 1,50 Pfund (“Voted in by you”).
Natürlich ist das erst einmal ein großer Backzirkus, ganz ähnlich wie ihn in Deutschland Kamps mit seinen “Backstuben” seit einiger Zeit veranstaltet. Das britische Blog “Cake and Fine Wine” hat gerade sehr schön beschrieben, warum genau das funktionieren könnte: Hackney im Osten der Stadt ist der Bezirk, der gerade kräftig durchgentrifiziert wird, was weniger am nahegelegenen Olympia-2012-Standort liegt, der gerade zu einer gruseligen Mischung aus Einkaufszentrum und Spießbürgersiedlung umgebaut wird, sondern daran, dass die Studenten und die Künstler schon längere Zeit dort sind und jetzt die Leute nachkommen, die ein bisschen mehr Geld haben und eher darauf achten, was sie einkaufen.
“The Bakery Project” ist gemacht für Leute, die keine Lust auf Discount-Backwaren haben, denen aber gleichzeitig die Indie-Bäcker zu teuer sind: also ein Konzept für den (kleinen) Massenmarkt. Ein zweites “Bakery Project” hat gerade im neuen Tesco in Watford eröffnet.
Das einzige Problem ist, findet zumindest “Cake and Fine Wine”: Die Sachen schmecken nur halb so lecker wie sie aussehen.
“I’m all for putting it in supermarkets. But the Bakery Project clearly aren’t going to be the ones who do that, unless they up their game.”
Für deutsche Supermärkte allerdings wäre ein vergleichbares Konzept ein riesiger Gewinn. (Wobei eventuell mit Einschränkungen wegen der behördlichen Hygienevorschriften zu rechnen wäre; mehr dazu ein andermal.)
Ketten wie Rewe machen mit ihren Billigbacktheken wieder denselben Fehler wie früher mit ihren kompletten Ladenkonzepten: Sie versuchen, die Discounter mit deren Mitteln zu schlagen. Das ist dumm. Schließlich haben die Supermärkte in den vergangenen Jahren vor allem deshalb aufholen können, weil sie die Unterschiede zum Billig-Wettbewerb herausgestellt haben: mit hochwertigeren Bedientheken, einem breiteren Angebot, besonderen Produkten. Es ist höchste Zeit, dass das endlich auch für Brot und Brötchen gilt. Weil sich Supermärkte auf Dauer mit 1-Euro-Standardbrot-Aktionsangeboten keinen Gefallen tun werden.
Nieder mit den Backvollzugsanstalten!
Fotos: Supermarktblog