Zwei Jahre ist’s her, dass Aldi Nord damit loslegte, seinen Filialen ein komplett neues Ladendesign zu verpassen (und mit dem Rumpel-Image der Vergangenheit abzuschließen, siehe Supermarktblog). Vorher hat der Discounter zahlreiche Tests unternommen, um herauszufinden, wie die geplanten Änderungen bei den Kund:innen ankommen – und bei der Umsetzung wohl trotzdem die Macht der Gewohnheit unterschätzt.
Die neuen Farben und die veränderte Sortimentsaufteilung konnten viele gerade noch so hinnehmen; aber bei der Regalanordnung hörte der Spaß auf.
Dabei waren die Aldi-Nord-Ladengestalter eigentlich bloß auf die Idee gekommen, die vom Eingang bis ans Marktende reichende Landebahn auf halber Strecke mit quergestellten Regalreihen zu flankieren. Dadurch wirkten die umgebauten Läden nicht nur deutlich aufgelockerter.
An den Regalköpfen konnten zudem besondere Produkte bzw. Sortimente aufmerksamkeitsstark hervorgehoben werden: Weine, Bio-Produkte, alles, was „Neu im Sortiment“ war – ähnlich wie in vielen Supermärkten.
Im Discounter ihres Vertrauens scheint das vielen Kund:innen (und Mitarbeiter:innen) aber zu progressiv gewesen zu sein. Seit einiger Zeit baut Aldi Nord die Querregale deshalb zurück – und stellt die Reihen wieder so, wie es sich nach Ansicht vieler Stammkund:innen für den Einkauf im Discounter gehört: längs. Sehr längs.
Auf Supermarktblog-Anfrage bestätigt ein Aldi-Nord-Sprecher:
„Da uns (…) wichtig ist, dass sich unsere Kundinnen und Kunden bei uns wohlfühlen, entwickeln wir unseren Ansatz fortlaufend weiter. Die Querregalierungen zwischen der Saisonfläche und dem Bereich Obst und Gemüse wieder auf eine Längsausrichtung umzustellen, ist eine solche Anpassung, mit der wir vor allen Dingen einem Kundenwunsch Rechnung tragen. Es hat sich gezeigt, dass der Kundenfluss in Längsstellung der Regale noch besser und homogener verläuft. Zudem können unsere Kunden durch die einheitlichere Struktur noch besser navigieren.“
Die Angst in der Essener Zentrale, zu viele Leute zu verschrecken, muss groß sein – vor allem, weil die Umsätze in den modernisierten Läden nicht gleich so wie prognostiziert stiegen (siehe Supermarktblog).
Praktischer ist die neue alte Anordnung nämlich eher nicht. Im Gegenteil:
- Durch den Rückbau verlieren die Märkte einen Teil ihrer Durchlässigkeit, die im ursprünglichen Konzept dafür sorgte, dass man bereits auf dem Weg in den Markt von einem Sortiment automatisch zum nächsten geleitet wurde.
- Die Gondelköpfe mit den herausgehobenen Produkten sind zwar noch da; am Obst und Gemüse muss man sich aber einmal um 180 Grad umdrehen, um sie wahrzunehmen. Der Effekt verpufft.
- Zudem sind die neuen Längsregale sehr viel schlechter einsehbar und bedeuten im Zweifel weitere Laufwege, um alle Produkte zu erfassen. Alle, die sich nicht an die veränderte Sortimentsanordnung gewöhnen wollten, müssen sich jetzt ein weiteres Mal umgewöhnen.
Im vergangenen Jahr hieß es in der Fachpresse, die Querregale seien auch deshalb in Ungnade gefallen, weil durch sie in schmaleren Märkten der Hauptlauf zu eng geworden sei. Aber das hätte sich freilich relativ einfach ändern lassen – indem man sie einen Regalmeter kürzer macht.
Geht nicht, sagen die Verfechter der reinen Albrecht-Lehre: Weil Discount Standardisierung bedeutet, um Aufwand und Kosten gering zu halten und weiter niedrige Preise verlangen zu können!
Falls Sie auch dazu gehören, hab ich schlechte Nachrichten: Diese Zeiten sind ein für allemal vorbei.
Das bedeutet keinesfalls, dass Discounter nicht weiter stärker auf Effizienz schauen müssen als klassische Supermärkte. Aber es hilft wenig, sich dabei hinter den Unflexibilitäten der Vergangenheit zu verschanzen. Wenn der Discount seine Relevanz behalten will, muss er sehr viel agiler werden als insbesondere Aldi Nord das in den zurückliegenden Jahrzehnten gewohnt war (hauptsächlich: von sich selbst). Weil ihm sonst Wettbewerber attraktive Standorte in Städten wegschnappen, die nicht ins Raster passen, das man sich in der Unternehmenszentrale an die Wand getackert hat.
Der österreichische Aldi-(Süd)-Ableger Hofer weiß ziemlich gut, was das bedeutet.
Insbesondere in Wien spezialisiert sich die Handelskette seit einiger Zeit darauf, moderne Stadtdiscounter – Pardon: Stadtdiskonter zu bauen, die sich trotz überschaubarer Verkaufsfläche als Nahversorger für die Nachbarschaft eignen. Und mutet seine Kund:innen dafür bei fast jeder Neu- bzw. Wiedereröffnung eine Führung durch den Markt zu, die sich nicht ihrer Gewohnheit anpasst. Sondern den baulichen Gegebenheiten des Gebäudes.
Der Schlauch: Hofer am Austria Campus in Wien
Im 2. Wiener Gemeindeberzirk hat sich Hofer vor einem Jahr zum Beispiel im Erdgeschoss eines gläsernen Bürokomplexes am Austria Campus einquartiert, gegenüber der neuen Zentrale der Unicredit Bank Austria.
Die 1000-Quadratmeter-Fläche eignet sich nullkommagarnicht für jegliche Form von Standardisierung, weil sie trotz Neuerrichtung merkwürdig verbaut wirkt und einem einzigen Schlauch gleicht. Hofer hat aus der Not eine Tugend gemacht: Direkt am Eingang werden Einkaufende vorbei an einem Niedrigpreis-Apéritiv …
… auf eine der vermutlich längsten Landebahnen geleitet, die ein Diskonter im deutschsprachigen Raum bislang gesehen hat. Vorbei an Keksriegeln und Salzgebäck geht es zum „Hofer Marktplatz“ mit Obst und Gemüse …
… hinter dem sich die Aktionsartikelsteppe öffnet, mit der sich der Laden kurz zur Seite ausbreitet, um kurz darauf im Kühlmobiliarkeil spitz aufs Lager zuzulaufen.
Im Grunde genommen besteht der ganze Laden bloß aus einem einzigen Geradeaus-Flur. (Ein Paradies für jeden Querregalhasser!)
Das liegt auch daran, dass die eine Markthälfte größtenteils aus Fensterfront besteht, die man offensichtlich nicht zustellen wollte, um die Sicht in den Laden hinein zu ermöglichen (obwohl man dafür ziemlich nah ans stark spiegelnde Glas rangehen muss).
Andere Diskontbetreiber hätten angesichts dieser Voraussetzungen vermutlich dankend abgewunken. Bei Hofer scheint man hingegen vor allem die Chance gesehen zu haben, ein ganzes neues Stadtviertel versorgen zu können. Und hat die Herausforderung angenommen.
Das betrifft nicht nur den ungewöhnlichen Kundenlauf:
- Weil im Vergleich zu viele regulären Filialen Wandstellfläche fehlt, klappen Backbox und Coolbox (der österreichische Brötchenknast mit Snack-Kühlanbau) im 90-Grad-Winkel voneinander weg.
- Drogerie-Artikel und Vinothek belegen jeweils eine Seite des frei im Laden stehenden Sonderregals.
Und die Kund:innen? Haben sich einfach dran gewöhnt.
Das Frische-Quadrat: Hofer im 2. (zum Zweiten)
In 1.000 Metern Luftlinie Entfernung eröffnete Anfang Juni die nächste neue Hofer-Filiale, die sich im Aufbau grundlegend vom Campus-Markt unterscheidet.
Die Trennwände zwischen Kassenzone und Markteingang lässt die Handelskette schon seit längerem einfach weg und sorgt damit für einen sehr viel einladenderen Empfang (siehe Supermarktblog). Der Eingang ist auch der Ausgang, es gibt keine Schranken, Zusatztüren oder Rücklaufsperren. Basta.
Die größte Besonderheiten der Filiale in Donaunähe ist aber der neu sortierte „Hofer Marktplatz“, der auf die bisherige eher altmodisch wirkende Schiefertafeloptik verzichtet und Frische stattdessen im Quadrat sortiert.
Obst und Gemüse sind nicht auf die gewohnte drei-etagige Regalschütte verteilt, sondern umgekehrt L-förmig im rechten Winkel zueinander sortiert.
Die gegenüberliegende Seite belegt die Coolbox (mit gekühlten Getränken, Sandwiches und gekühlten Früchten), an die sich die in heller Holzoptik gehaltene Backbox anschließt, welche um die Ecke in den breiter werdenden Markt hineinreicht. In der Mitte ist Platz für Aktionsartikel und Regionales.
Obst und Gemüse werden zwar weiterhin – ganz effizient – kistenweise in die Schütten gewuchtet, und die Durcheinanderanfälligkeit der Mittelinsel ist ziemlich hoch. Aber Edeka-hafter hat sich ein Diskonter mit seinem Frische-Angebot vermutlich selten in Szene gesetzt.
All das gelingt, obwohl 300 Quadratmeter Verkaufsfläche weniger als am Austria Campus zur Verfügung stehen. Und weil Hofer in Kauf nimmt, Kund:innen neben dem „Marktplatz“ durch einen schmalen Gang an der Tiefkühlware zur Kasse zu schleusen.
(Der übrige Laden ist eher klassisch designt, aber eignet sich auch dank seiner Übersichtlichkeit hervorragend als Nahversorger.)
Bei der Flexibilität der österreichischen Nachbarn können sich die deutschen Aldis noch 1 Blatt (Extrawurst) abschneiden.
Die Bucht: Penny am Prager Stadtrand
Hofer-Konkurrent Penny probiert’s im benachbarten Tschechien noch mal ganz anders. Der Rewe-Discounter hat seine Kund:innen gefragt, was denen beim Einkaufen am Wichtigsten ist – und erklärt im gerade erschienenen Rewe-Geschäftsbericht:
„Eine häufig genannte Antwort: Die Atmosphäre soll ansprechend und freundlich sein, mit vielen überraschenden Elementen – eben wie auf einem klassischen Wochenmarkt. Und bitte keine endlosen, langweiligen Regalreihen!“
Keine endlosen, langweiligen Regalreihen? Offensichtlich unterscheiden sich die Vorlieben der Discount-Kund:innen in europäischen Nachbarländern stark voneinander. Penny hat daraufhin ein Filialkonzept mit festem Kundenlauf gebaut, der Kund:innen an sämtlichen Sortimenten vorbei führt, bevor sie bezahlen dürfen.
Los geht’s im Beispielmarkt am Prager Stadtrand mit Backwaren und Bier („beides wichtige Warengruppen in Tschechien“), anschließend folgen Wein und Spirituosen, Wasch- und Reinigungsmittel, Obst und Gemüse, Molkereiprodukte, Süßwaren, Aktionsartikel, alles sortiert in „ausgedehnte Regalbuchten“ (Fotos auf Facebook ansehen).
Der so genannte „forcierte Kundenlauf“, erklärt Rewe, „navigiert die Besucher einmal durch den gesamten Markt“. Das ist mutig – und nur was für Läden, die man regelmäßig aufsucht, um dort seinen Haupteinkauf zu erledigen.
Wie gut, dass Penny mit seinen 380 Filialen nach eigenen Angaben „die Nummer eins im tschechischen Lebensmittelhandel“ ist. Bislang wurden bereits 120 Filialen umgebaut; 2019 sollen weitere 70 folgen.
Alle, die eher Zusatzeinkäufe oder Spätbesorgungen tätigen wollen, bremst das Konzept jedoch ziemlich ab – und sorgt dafür, dass man sich im Zweifel eher nach Alternativen umsieht, um nicht in die Ikea-Irrgartenfalle zu laufen. (Auch wenn es, wie in den langsam aber sicher aus der Mode kommenden Möbelhäusern der Schweden eine Abkürzung zum Kassendurchschlupf gibt, etwas versteckt in der Getränkebucht.)
Für den deutschen Markt dürfte Pennys tschechisches Überraschungskonzept allenfalls an ausgewählten Standorten geeignet sein (und in vielen Stadtteillagen kaum umsetzbar); am Stadtrand von Berlin scheint der Discounter das mal ausprobieren zu wollen. Wie die „Lebensmittel Zeitung“ (Abo) berichtet, hat sich Penny in Brieselang und Teltow mit „ u-förmigen Nischen“ neu sortiert.
Discount-Besucher:innen, denen schon Querregale ein Dorn im Auge sind, dürften davon nur schwer zu überzeugen sein.
Die derzeitige Entwicklung zeigt aber, wie sehr sich die Discounter zunehmend von alten Gewohnheiten verabschieden (müssen), um sich in Zukunft besser voneinander zu differenzieren und Innenstadtlagen für sich zu nutzen. Im Zweifel auch mit dem Risiko, dass das die bisherige Stammkundschaft erstmal als unzumutbare Umgewöhnung empfindet.
Fotos: Supermarktblog
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Der Beitrag Kundenführung im Discounter: Aldis Angst, Hofers Antwort und Pennys Pragmatismus erschien zuerst auf Supermarktblog.