“Auf gute Nachbarschaft!”, steht in großen grünen Buchstaben auf den Faltblatt, das an den Kasseninseln ausliegt. Und darunter:
“Willkommen im neuen Einkaufsmittelpunkt ganz in Ihrer Nähe. Wir werden Sie täglich überraschen – mit tollen Produkten, großer Vielfalt und bestem Service. Einfach mit allem, was Sie von einem guten Nachbarn erwarten können.”
“Mein Laden” heißt der neue Nachbar in Lankwitz, das am südlichen Stadtrand von Berlin liegt, und eingezogen ist er ins Erdgeschoss eines eher unwirtlichen Betonbaus in der Nähe des S-Bahnhofs. Obst, Hackfleisch, Joghurt, Kaffee, Seife: Gerade mal ein Dutzend Produkte wird in der Broschüre zur Neueröffnung beworben. Ziemlich untypisch für einen Discounter. Das will “Mein Laden” offensichtlich auch gar nicht mehr sein, obwohl er zu Edekas Billigtochter Netto (ohne Hund) [Erklärlink] gehört.
Im Frühjahr eröffnete die unweit ihrer Firmenzentrale in Bayern “Mein Laden” im Städtchen Amberg – ein Lebensmittelgeschäft, in dem auf Sonderangebote und Aktionsartikel komplett verzichtet wird. (Regelmäßige Supermarktblog-Leser wissen das natürlich längst.)
Inzwischen gibt es weitere (Test-)Filialen, die ganz grün hinter den Ohren sind. Supermarktblog-Leser Chrisn83 schreibt, dass es “Mein Laden” nach München-Bogenhausen geschafft hat. Sonderlich begeistert ist er vom Konzept aber nicht. “Mein Laden” führe vor allem teurere Produktvarianten als reguläre Netto-(ohne Hund)-Filialen:
“Ich Kunde zahle teilweise wesentlich mehr, als in einem normalen Netto. Doch damit nicht genug, das zu 100% identische Produkt kostet in ‘Mein Laden’ 17% mehr als im normalen Netto und hierbei handelt es sich um den regulären Preis, also kein Sonderangebot.”
Ob das tatsächlich Absicht ist oder dem (verkleinerten) Sortiment geschuldet, lässt sich schwer herausfinden: Auf Supermarktblog-Anfrage erklärt Netto (ohne Hund) einmal mehr, keinerlei Auskunft zu “Mein Laden” geben zu wollen.
In der neuen Berliner Filiale stehen allerdings auch die regulären Netto-(ohne Hund)-Eigenmarken im Regal, und das zum gleichen Preis wie in den Discount-Läden im Stadtgebiet. Anders sieht es hingegen bei den Produkten der großen Markenhersteller aus. Von denen wird im Eröffnungshandzettel zwar kein einziges beworben, ein Großteil des Angebots besteht jedoch aus ebendiesen Artikeln – und für die verlangt Netto (ohne Hund) konsequent höhere Preise als im gelb-roten Markt.
Manchmal sind es bloß ein paar Cent, in einigen Fällen sind die Unterschiede deutlicher. Melitta-Filtertüten sind im Vergleich zum Discount-Netto (ohne Hund) um 30 Cent aufgeschlagen; Salakis-Schafskäse, Kühne-Gewürzgurken und Nutella kommen jeweils 10 Cent teurer; beim Dallmayr-Kaffee beträgt der Unterschied bereits 50 Cent. Besonders auffällig wird’s, wenn man die Aktionspreise berücksichtigt. Wer sich in der vergangenen Woche mit Maggi-Fertigpülverchen eingedeckt hat, zahlte bei “Mein Laden” über ein Drittel mehr als bei Netto (ohne Hund).
Und das Pfund Jacobs Krönung kam regulär auf 4,99 Euro – statt 3,59 Euro im Angebot. Auf einen kompletten Einkauf gerechnet kann da ganz schön was zusammen kommen.
Dass Schnäppchenjäger davon wenig begeistert sein werden, wird Netto (ohne Hund) einkalkuliert haben und in Kauf nehmen. Immerhin will sich die Discountkette mit “Mein Laden” aus einer Falle befreien, in die man sich mit der Übernahme von Plus selbst hineingeschubst hat.
Weil der frühere Konkurrent zahlreiche Kleinläden in die Billig-Ehe einbrachte, in die das riesige Netto-(ohne Hund)-Konzept kaum reinpasste, funktionierte der neue Eigentümer die Einkaufskaschemmen zu “Netto City”-Läden um, mit eingeschränktem Angebot und deprimierender Irrgarteneinrichtung (siehe Supermarktblog). Als Dauerlösung hat sich das nicht empfohlen.
“Mein Laden” probiert es nun mit mehr Übersichtlichkeit, breiteren Gängen, und kleineren Packungen im Regal. Es ist wohl kaum ein Zufall, dass sich Netto (ohne Hund) damit vor allem in Stadtrandlagen wagt, wo eher ältere Kundschaft zu vermuten ist. Für die ist “Mein Laden” schließlich gemacht.
(In Berlin-Lankwitz sind 25,96 Prozent der Einwohner über 65 Jahre alt; im Gesamtbezirk Steglitz-Zehlendorf sind es 24,4 Prozent, der höchste Wert der ganzen Stadt. Der Schnitt liegt bei 18,9 %. Zum Vergleich: In Friedrichshain-Kreuzberg, dem jüngsten Bezirk, sind 9,8 Prozent der Einwohner über 65; Quelle: Statistisches Jahrbuch Berlin 2012, eigene Berechnungen.)
Das Clevere dabei ist, dass trotz eines (im Schnitt) vermutlich teureren Gesamtsortiments als im klassischen Discount behauptet werden kann, der neue Nachbar biete “stets günstige Preise”: Die Eigenmarken kosten ja weiter dasselbe, und von den leicht verteuerten Markenartikeln sind viele immer noch günstiger als bei der klassischen Supermarktkonkurrenz, die – wie in Lankwitz – einige hundert Meter entfernt angesiedelt ist.
Kurz gesagt: “Mein Laden” ist Netto (ohne Hunds) Versuch, eine Zwischenform im deutschen Lebensmittelhandel zu etablieren. Kein Supermarkt, kein Discounter, eher ein – Supounter.
In Lankwitz hat das zur Eröffnung in der vergangenen Woche hervorragend funktioniert. Und das ohne den üblichen Eröffnungsrabatt. Gerade einmal zu drei Lockangeboten mit vergünstigten Preisen konnte sich “Mein Laden” durchringen: Tomaten, Gurken, Bananen. Der Laden war trotzdem voll mit Kundschaft im fortgeschrittenen Alter. Im Eingangsbereich wurde eine Freifläche spontan zu einem Parkplatz für Gehhilfen umfunktioniert. An den beiden Kasseninseln bildeten sich lange Schlangen mit Senioren, die Besorgungen fürs Wochenende zu machen hatten.
Wenn das auch nach ein paar Wochen so bleibt, sieht es ganz so aus als hätte Netto (ohne Hund) mit der Umfunktionierung seiner City-Höhlen einen echten Treffer gelandet.
Mit Dank für den Hinweis an die Supermarktblog-Leser Chrisn83 und @sah_ne.
Falls bei Ihnen in der Nähe auch ein “Mein Laden” eröffnet: Schreiben Sie’s doch bitte in die Kommentare!
Fotos: Supermarktblog