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App-Abstürze, Chaos-Überprüfungen, „Unbekanntes Produkt“: Wie Rewe Scan & Go versiebt

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Partner und Sponsoren:
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Irgendwer in der Kölner Rewe-Zentrale hat beim Abstauben im vergangenen Jahr die Schatulle gefunden, in der die Zukunft drin war, und nach dem Öffnen eine leidenschaftlich formulierte Pressemitteilung publiziert. „Wir geben Gas“, ließ sich Rewe-Bereichsvorstand Peter Maly darin zitieren und versprach, „unsere Innovationsführerschaft im deutschen Lebensmitteleinzelhandel“ „untermauern“ zu wollen. Dass dies mit dem zügigen Ausbau einer Technologie geschehen sollte, die in anderen europäischen Ländern bereits seit Jahren ganz selbstverständlich in den Einkaufsalltag zahlreicher Supermarkt-Kund:innen integriert ist, hätte da vielleicht schon ein klitzekleines bisschen stutzig machen können.

Aber es war ja trotzdem ein Signal: Dass es endlich auch eine deutsche Handelskette gestatten würde, Produkte während des Einkaufs zu scannen, direkt einzupacken und – mit kleinem Umweg über die SB-Kasse – schnell zu bezahlen (siehe Supermarktblog). Toll!

Um den Jahreswechsel sollten laut Rewe-Mitteilung bundesweit 100 Märkte mit der so genannten Scan-&-Go-Technologie ausgestattet sein, die entweder per ausleihbarem Handscanner oder per App mit dem eigenen Smartphone funktioniert. Anschließend ist die Begeisterung offensichtlich direkt wieder ins Stocken geraten.


Ende Mai dieses Jahres hieß es aus Köln, die Zahl der Scan-&-Go-fähigen Märkte habe sich „moderat erhöht auf rund 110“.

Die Waagen sind wieder weg

Und in den ersten Filialen scheint Rewe die so leidenschaftlich angekündigte Innovation inzwischen bereits wieder abgebaut zu haben – so wie im Frankfurter Nordwestzentrum (NWZ), wo sich Supermarktblog-Leser Dominik S. gewundert hat, dass die benötigten Waagen für loses Obst und Gemüse und die Handscanner schon wieder verschwunden sind:

„Skurril ist, dass weiterhin kleinere [auf Scan & Go] hinweisende Werbemittel im Markt rumhängen, die vielleicht aus Betriebsblindheit noch nicht entfernt wurden. Es werden aber weniger. Auf den elektronischen Preissschildern von Obst und Gemüse sind die Hinweise auf die korrekte S&G-Einbuchung noch da, nutzen aber meist nichts ohne Waagen. Etwas ulkig sind die Bodenpunkte, die vom Eingang her zur Handscanner-Ausgabe-Säule wiesen, jetzt aber nur noch auf einen Desinfektionsmittelspender.“

Die Handscanner-Station im Rewe NWZ ist wieder abgebaut, nur der Bodenaufkleber ist übrig; Foto: Dominik S.

Wie kann das sein, dass die Untermauerung so schnell schon wieder eingestellt worden ist?

Auf Supermarktblog-Anfrage erklärt ein Rewe-Sprecher:

„Scan & Go ist ein moderner Service, der bewusst in unterschiedlichen Standorten installiert wurde, um Erfahrungen zu sammeln. Insofern ist es nur sinnhaft, Hardware in andere Märkte mit mehr Potential zu verlagern, wenn an vorheriger Stelle die Nutzung nach längerem Testzeitraum unter den Erwartungen geblieben ist.“

Rumpelige Integration

Okay, die Kund:innen im Nordwestzentrum scheinen den Service also nicht so gut angenommen zu haben. Und, mit Verlaub: Wer würde ihnen das auch verübeln wollen, bei der rumpeligen Integration in den Einkausfablauf, die sich Rewe in den vergangenen Monaten mit der angeblichen Zukunftstechnologie geleistet hat?

In den Berliner Märkten, in denen ich Scan & Go bisher nutzen konnte, darf zwar weiterhin schon während des Einkaufs gescannt werden. Ein Vergnügen ist das aber nur in Ausnahmefällen. Und der Erwerb von größeren Mengen frischem Obst und Gemüse zählt zum Beispiel eher nicht dazu.

Das liegt gar nicht mal daran, dass lose Ware einzeln auf eine herkömmliche Waage gelegt und übers Touchscreen-Menü ausgewählt werden muss, um Barcodes auszudrucken, die anschließend mit der App erfasst werden. (Was sich z.B. mit automatischer Warenerkennung und QR-Code-Anzeige auf dem Bildschirm sehr viel eleganter lösen ließe.)

Deutlich nerviger ist, dass die Smartphone-App beim Scannen regelmäßig an Produkten scheitert, deren Barcode vom abpackenden Unternehmen wohl zu liederlich auf die Packung gedruckt worden ist. In der App heißt es dann per Pop-up:

„Hinweis! Unbekanntes Produkt
Wir helfen Ihnen an der Kasse weiter.“

Und als Kunde bin ich gezwungen, „OK“ zu drücken, obwohl es das natürlich nicht ist – weil ich ja dank Scan & Go gar nicht an die reguläre Kasse will.

Jede. Ziffer. Einzeln.

Dass der Barcode auch auf den E-Preisschildern am Regal abgebildet ist, hilft leider oft auch nicht: zu schlecht ausgeleuchtet, unpraktisch befestigt – und das Ergebnis ist, egal ob bei den regionalen Erdbeeren aus Brandenburg oder bei den Plattnektarinen aus Spanien, wieder:

„Hinweis! Unbekanntes Produkt“

Wer den Fehler begeht, die Inkognito-Ware trotzdem einkaufen zu wollen und sie beim verpflichtenden Übertrag von der App an die stationäre SB-Kasse nachzuerfassen versucht, erntet nur ein müdes Kopfschütteln der Aufsicht: „Das Problem mit den Barcodes haben wir auch an der regulären Kasse.“ Da hilft nur: Den 13-stelligen Zifferncode händisch eingeben.

„Jetzt selbst scannen & ohne Wartezeit bezahlen!“ – von wegen.

Für Scan & Go mottet Rewe alte Obst-Waagen wieder aus; Foto: Smb

In den Kommentaren der App-Stores berichten Kund:innen zudem von regelmäßigen Abstürzen der Scan-&-Go-Smartphone-App, die unmittelbar nach dem Öffnen außerdem den Full-Screen-Modus erzwingt, sodass z.B. eine Einkaufszettel-App nur noch mit mühsamem Umschalten parallel dazu genutzt werden kann. Weil Rewe es halt so will.

Und dann sind da noch die Warenkorbüberprüfungen, bei denen Kasse und App in den Hinweismodus umschalten und informieren:

„Ihr Einkauf wird noch einmal überprüft. Eine/e Mitarbeiter/in kommt gleich zu Ihnen.“

Zeitaufwendige Nachkontrolle

Anschließend wird entweder eine Auswahl zufälliger Produkte zur Kontrolle nachgescannt oder eine konkret vorgegebene – ja, genau: aus dem zu diesem Zeitpunkt bereits komplett eingepackten Einkauf, der dann im Zweifel wieder ausgepackt werden darf.

Wenn Sie dieses Pop-up sehen, verlängert sich Ihr Turbo-Einkauf um unbestimmte Zeit; Foto: Smb

Supermarktblog-Leser Dominik S. muss bei seinen Einkäufen im Rewe Nordwestzentrum ein besonders verdächtiges Scan-Verhalten an den Tag gelegt haben, jedenfalls erfolgten die Nachkontrollen in schöner Regelmäßigkeit:

„[Einmal] hat die Mitarbeiterin mich, als die Kasse blockierte, an eine herkömmliche Kasse geschickt, wo ich doch noch alle mühsam selbstgescannten Produkte nochmal ausladen durfte. Sie meinte nach ratlos wirkendem Draufgucken, die Anlage wäre kaputt, aber mein Gefühl war, sie wusste nicht, was sie tun sollte. Und bei einem Mal ist irgendwie die ganze SB-Kasse abgestürzt und mein Einkauf im Nirvana verschwunden, ohne dass jemand wusste, was zu tun wäre.“

Die erste Überprüfung erfolgte direkt nach den drei von Rewe beworbenen rabattierten Einkäufen:

„Dachte noch: ‚Oha, die Flitterwochen sind offenbar vorbei‘.“

Kleine Scan-Odyssee

Eigentlich hatte die Handelskette im Zuge der Scan-&-Go-Ausweitung angekündigt, Mitarbeiter:innen, die künftig wegen der neuen Technologie womöglich nicht mehr an regulären Klassen benötigt würden, „angesichts des auch im Handel allgegenwärtigen Fachkräftemangels“ für „wichtige Serviceaufgaben, die kundenorientierte Beratung als auch die aufwändiger werdende Pflege des Warenangebots und der Sortimentsgestaltung“ einzusetzen.

Was natürlich nicht geht, wenn ständig Kundschaft nachkontrolliert werden muss.

Meine erste Warenkorbüberprüfung – übrigens ebenfalls beim vierten Einkauf, aber das kann natürlich auch Zufall gewesen sein – musste die Mitarbeiterin an der regulären Kasse miterledigen, nachdem sie die Kund:innen dort zu Ende bedient hatte.

„Schneller am Ziel: selbst scannen & fix zahlen“ – ein Scherz.

Geradezu hellsichtig war derweil die Prognose von Supermarktblog-Leser Aufrechtgehn, der Scan & Go kurz nach der Einführung in einem anderen Frankfurter Rewe-Markt (An der Alten Feuerwache) ausprobieren wollte – und nicht so recht gelassen wurde. Die kleine Odyssee ist an dieser Stelle dokumentiert und läse sich eigentlich sehr unterhaltsam – wenn sie nicht so bezeichnend und fatal wäre.

„Oh nein, Sie haben Scan & Go gemacht“

Bei den ersten fünf Scan-&-Go-Einkäufen wurde zweimal nachkontrolliert,

„was in beiden Fällen damit endete, dass ich den Einkauf doch noch mal selbst an der Expresskasse einscannen musste. Beim ersten Mal drückte die Aufsicht – erkennbar ohne Ahnung, was sie jetzt tun sollte – irgendwo auf den Touch-Screen, woraufhin mein Einkauf augenscheinlich storniert wurde, und ließ mich dann schlichtweg stehen, um sich um andere Kunden zu kümmern. Heute rief (eine andere) Aufsicht vorwurfsvoll-entsetzt aus: ‚Oh nein, Sie haben Scan&Go gemacht! Jetzt muss ich erst mal so ein blöde Pistole holen‘ und verschwand. Nachdem sie auch zwei Minuten später nicht wieder aufgetaucht war, habe ich dann den Vorgang in der App abgebrochen und die Artikel von Hand eingescannt.“

In den Märkten lockt Rewe Kund:innen mit Rabatten zum Ausprobieren der Technologie; Foto: Smb

Beim nächsten Versuch war die SB-Kasse abgesperrt; beim übernächsten Mal wurde wieder nachkontrolliert, der Einkauf gelöscht – und alles händisch nacherfasst.

„Es hilft halt natürlich auch nicht, dass die Kassenaufsicht im Bedarfsfall immer gerade mit anderen Dingen beschäftigt ist oder sich während des Klärungsversuchs an der Expresskasse von anderen, ebenfalls hilfebedürftigen Kunden ablenken lässt und sich der Bezahlvorgang somit auf fünf Minuten verlängert.“

Hat sich nicht gelohnt?

Die Bilanz: Für Supermarktblog-Leser Aufrechtgehn war das Experiment schon kurz nach der Einführung in seinem Markt „krachend gescheitert“:

„Solange die Versuche bei Rewe offenkundig von (…) Angst und Misstrauen dominiert werden und die Abläufe nicht im Hinblick auf maximale Kundenfreundlichkeit und Effizienz, sondern maximal kompliziert konzipiert werden, kann und wird das nichts werden. Ich wette, in ein paar Monaten wird das alles wieder abgebaut und in Köln schiebt man es dann wieder auf die experimentierunwilligen Kunden statt auf das eigene Versagen. (…) Extrem ärgerlich. Und schade.“

Das war im Oktober 2020. Ein paar Monate später hab ich mal nachgefragt, ob es Scan & Go im betreffenden Markt noch gibt – und jetzt raten Sie mal.

„[T]atsächlich ist die Handscannerstation wieder abgebaut. Auch die zusätzliche Waage in der O&G-Abteilung ist verschwunden.“

Vom Kunden auf Scan & Go angesprochen, erklärte eine erste Mitarbeiterin, diesen Service habe man „noch nie gehabt“ („Was heißt, dass entweder sie über selektive Wahrnehmung verfügt oder ich mir mittlerweile Dinge einbilde“); die zweite erklärte dann, man habe Scan & Go wieder abgebaut, weil es „sich nicht gelohnt“ habe.

Oder wie es in Köln heißt: in andere Märkte „mit mehr Potential“ verlagert, wenn die Nutzung „unter den Erwartungen“ geblieben ist.

Systematische Versäumnisse

Dass Rewe es offensichtlich systematisch versäumt, Mitarbeiter:innen im Umgang mit der Technologie zu schulen, eine reibungslose Abwicklung von Warenkorbüberprüfungen zu organisieren, ohne dass diese regelmäßig zu massiven Zeitnachteilen für Technik-aufgeschlossene Kund:innen führen, und man nicht einmal die komplette Ware im Markt so ausgezeichnet kriegt, dass sie sich ohne krude Umwege erfassen lässt, war zur Untermauerung der Innovationsführerschaft im deutschen Lebensmitteleinzelhandel offensichtlich nicht vorgesehen.

Man kann nur hoffen, dass sich Rewe bei der Einführung seiner autonomen „Smart Stores“ nach dem Amazon-Go-Vorbild, die derzeit vorbereitet wird, sehr viel mehr Mühe gibt und auf das Feedback seiner Kund:innen hört. Damit man’s nicht wieder auf sie schieben muss, wenn die Innovation versagt.

Allem Ärger zum Trotz: Für kleine Einkäufe von vornehmlich abgepackten Artikeln mit gut lesbar aufgedrucktem Strichcode kann Scan & Go beim Rewe-Einkauf eine echte Erleichterung sein. Auf Supermarktblog-Anfrage, inwiefern ein weiterer Ausbau der Technologie vorgesehen ist, erklärt ein Sprecher des Unternehmens:

„Laut Fachabteilung soll es Ende des Jahres rund 150 REWE-Märkte geben, die Scan & Go anbieten.“

Zur Erinnerung: Rewe betreibt hierzulande rund 3.600 Supermärkte.

Vielen Dank an Aufrechtgehn und Dominik S. für die Unterstützung!

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In Kürze öffnet eine weitere Kasse ...?
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