Nicht nur bei uns, sondern auch im europäischen Ausland tun sich viele SB-Warenhäuser [Erklärlink], also die richtig großen Supermärkte, derzeit schwer – weil die Kunden ihr Einkaufsverhalten ändern.
Eine Kette allerdings blieb von den Auswirkungen bisher weitgehend verschont: Kaufland.
Genau wie Lidl gehört Kaufland zur – websitelosen – Neckarsulmer Schwarz-Gruppe, die kurz davor steht, der Düsseldorfer Metro in der Liste der umsatzstärksten deutschen Lebensmittelhändler den dritten Platz streitig zu machen. In den aktuellen Top 30 der “Lebensmittelzeitung” (Pressemitteilung) liegen zwischen beiden gerade noch (geschätzte) 660 Millionen Euro – bei jeweils ungefähr 30 Milliarden Umsatz. (Ausschließlich auf die Lebensmittelsparten bezogen liegt Schwarz schon jetzt deutlich vor Metro.)
Kaufland ist daran nicht ganz unschuldig. In den vergangenen Jahren kamen pro Jahr mehrere neue Riesenmärkte hinzu, erst in letzter Zeit ist das Tempo der Neueröffnungen wieder zurückgegangen. Derzeit gibt es knapp 630 Kaufland-Häuser in Deutschland.
Mit 13,5 Milliarden Euro ist Kaufland deutlich größer als direkte Mitbewerber wie Real (9,5 Mrd.) und Globus (4,4 Mrd.). Aber Sie wollen sich ja nicht von Zahlen langweilen lassen, sondern wissen: warum? Was macht Kaufland anders als die anderen?
Um das rauszukriegen, machen wir einen Spaziergang ins Ruhrgebiet.
Gerade mal sieben S-Bahn-Minuten liegt der Essener Stadtteil Borbeck vom Hauptbahnhof entfernt. Und die Sehenswürdigkeiten würden vielleicht sogar für einen eigenen Text im “Überall ist es besser”-Reiseblog nebenan reichen. Aber wer nach 20 Uhr dort ankommt, wird nur noch von ein paar Jugendlichen mit pink gefärbten Haaren begrüßt, die auf ihrem Handy “Troublemaker” laufen lassen und laut dazu mitsingen.
Die Fußgängerzone direkt hinterm Bahnhof ist bereits abendbrotevakuiert. Im “Café Augenblick” zur Rechten wird gesaugt. Der Bestatter gegenüber hat offensichtlich einen ruhigen Abend erwischt. Die Läden sind alle zu. Wer hier noch Vergnügen sucht, muss sich für eine der beiden Spielhallen entscheiden, die sich zwischen den CDU-Ortsverein und den Optiker gequetscht haben. Oder ein paar Schritte weiter laufen. Am Platz mit dem zehngeschossigen Wohnblock, einer Art Steinplattenbalkon gewordener Ortsmitte, steht ein Neubau, in dem noch Licht brennt. Kaufland hat noch bis 22 Uhr geöffnet.
Als die größte Fläche in der Borbecker Fußgängerzone noch aus einem Geisterkaufhaus bestand, war das anders. Im Frühjahr 2009 meldete Hertie erst Insolvenz an und dann seine unrentablen Kaufhäuser aus den Innenstädten ab. In Borbeck zog zwar ein (bei Google Maps noch zu besichtigender) Drogeriemarkt als Zwischenmieter ein. Eine langfristige Lösung für den Betonbrocken war das aber nicht.
Bis Kaufland kam.
Gemeinsam mit der Stadtverwaltung plante der Konzern den Abriss des alten Gebäudes und einen komplett neuen Komplex an derselben Stelle. Im Dezember des vergangenen Jahres war Eröffnung. Die Sängervereinigung Borbeck 1890/94 trat auf und hatte sich zur Feier des Tages rote Pullis drucken lassen, auf denen stand: “Glück auf – Kaufland ist da”. Die Lokalzeitung lobte, der zweigeschossige Markt könne sich “mit einem guten Sortiment sehen lassen”. Parken ist für die Kunden seitdem kostenlos, mitten in der City.
Nur der viel kleinere, ziemlich verbaute Edeka-Laden schräg gegenüber hat nicht mitgefeiert. (Aber neuerdings immerhin bis 21 Uhr geöffnet.)
Genau das macht Kaufland anders.
Weit draußen in den Industriegebieten gibt es die Märkte zwar auch. Aber Neueröffnungen auf der “Grünen Wiese”, wie die Industrieareale an den Stadträndern sich euphemistisch selbst tauften, würden “fast nicht mehr realisiert”, verriet der Konzern der “Lebensmittelzeitung” im Januar. Auf Anfrage erklärt der Knzern:
“Wir möchten mit unseren neuen Kaufland Standorten dort hin, wo unsere Kunden leben. Eine gute und schnelle Erreichbarkeit, insbesondere auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln, ist für uns ein wesentlicher Standortfaktor.”
Um weiter zu wachsen, hat Kaufland in den vergangenen Jahren nicht nur Häuser übernommen, die Konkurrenten wie Real und Toom abgeben wollten. Sondern auch ehemalige Kaufhäuser.
Borbeck ist nicht der einzige ehemalige Hertie-Standort; in Dortmund-Aplerbeck und den Hamburger Stadtteilen Bramfeld und Langenhorn lief es genauso. Auch frühere Karstadt-Häuser sind zu Riesensupermärkten geworden. Für SB-Warenhaus-Betreiber ist das eine ungewöhnliche Strategie – und vermutlich auch nicht ganz günstig, weil viele Häuser aufwändig saniert (oder sogar neu gebaut) werden müssen. Aber es scheint zu funktionieren. Wenn die Kunden zum Einkaufen nicht mehr raus an den Stadtrand fahren kommen, kommt Kaufland eben zu ihnen.
Das erfordert eine gewisse Anpassungsfähigkeit, weil Flächen ab 5000 Quadratmetern, die SB-Warenhäuser gerne belegen, in Stadtzentren eher schwer zu kriegen sind.
Deshalb nimmt’s Kaufland auch eine Nummer kleiner. Verkaufsflächen ab 2000 Quadratmetern sind inzwischen ebenfalls in Ordnung, Hauptsache im Einzugsgebiet wohnen etwa 25.000 potenzielle Kunden.
Das geht, weil ein durchschnittlich großer Kaufland ganz gut als Kaufhausersatz funktioniert. Klamotten und Elektrogroßgeräte bestellen die meisten Kunden sowieso längst im Internet , Lebensmittel eher nicht. Die gibt’s bei Kaufland sowieso. Und den Kleinkram dazu: Haushaltswaren, Spielzeug, Schreibkram, Kleinelektro, im Sommer den Grill, im Winter den Christbaumständer.
Kaufland ersetzt mit seinem Konzept frühere Fußgängerzonenmagnete wie Karstadt und Hertie – aber ohne deren Fehler zu wiederholen. Dazu gehört es auch, so wie in Essen-Borbeck, noch einen Schritt weiter zu gehen.
Der an Apotheken und China-Restaurants schon nicht armen Fußgängerzone hat Kaufland dort eine weitere Apotheke und einen China-Imbiss geschenkt, die direkt in den eigenen Gebäudekomplex integriert sind. Dazu gibt es einen Bäcker, einen Kiosk mit Zeitschriften und Lotto-Abgabestelle, einen Postersatz und einen Automaten der örtlichen Bank. Wahrscheinlich müssen die übrigen Borbecker Hauptgeschäftszweige froh sein, dass ihnen nicht noch ein drittes Sonnenstudio und ein weiteres Casino dazu geklont wurde.
Für die umliegenden Geschäfte ist der neue Anbieter also Fluch und Segen zugleich. Weil er einerseits dafür sorgt, wieder mehr Betrieb in die Stadt zu bringen. Aber zugleich alles daran setzt, die Kundschaft direkt aus dem Parkhaus zu sich in den Laden zu schleusen, vorbei an den untervermieteten Läden und wieder zurück zum Auto. Kaufland ist als in sich geschlossenes System angelegt. Wer einmal drin ist, braucht sonst nirgendwo mehr hin.
Mag sein, dass dadurch eine “Magnetwirkung” für Borbeck entsteht, wie es sich der Bezirksbürgermeister zur Eröffnung gewünscht hat. Aber von der profitieren nicht automatisch auch die übrigen Händler.
Es ist nachvollziehbar, dass die Lokalpolitik, egal in welcher Stadt, sich anstrengt, mit Kaufland die von den Pleitekaufhäusern hinterlassenen Lücken zu schließen. In ein paar Jahren allerdings könnten viele Innenstädte deshalb vor dem Problem stehen, dass in den Läden außenrum permanent neue “Zu vermieten”-Schilder aufgehängt werden. Die Innenstadteroberung von Kaufland ist genial und scheint zu funktionieren. Es weiß jetzt nur noch niemand so genau, auf wessen Kosten.
Mehr zum System Kaufland steht im nächsten Blogeintrag.
Der Text wurde am 28. März nachträglich mit einer Auskunft von Kaufland ergänzt.
Fotos: Supermarktblog