Seit einem halben Jahr testet die (vielleicht bald von Edeka übernommene) Supermarktkette Kaiser’s Tengelmann in 30 Berliner Märkten, wie Kunden einkaufen, wenn sie glauben, dafür belohnt zu werden. Dafür bekommen sie gelbe “Extrakarten”, die bei jedem Einkauf gescannt werden müssen, damit dem Kartenkonto Punkte gutgeschrieben werden (jeweils 5 Punkte pro 1 Euro Einkaufswert).
Das System funktioniert anders als z.B. Payback bei Rewe und Real, weil Extrakarten-Besitzer keinen Namen, kein Geburtsdatum und keine Adresse zu hinterlegen brauchen. Dafür sollen sie vor jedem Einkauf an einem Terminal im Markt eine Liste mit dem aktuellen Punktestand und fünf bis acht “persönlichen Angeboten” ausdrucken. Beim Vorzeigen des “Extra Sparscheins” an der Kasse kosten die jeweiligen Produkte dann 10, 20 oder 30 Prozent weniger als am Regal dransteht.
Das Besondere ist, dass die “persönlichen Angeboten” tatsächlich persönlich sein sollen – weil sie angeblich auf das individuelle Kaufverhalten des jeweiligen Kunden abgestimmt werden.
“Die Extrakarte ist eigentlich wie ein physischer Cookie”,
erklärte Raimund Bau, Mitgründer der Software-Firma SO1, mit der Kaiser’s kooperiert, im vergangenen Herbst Zeit Online. Jedes Produkt sei “ein statistischer Hinweis auf andere Produktvorlieben, wo wie Weleda-Shampoo auf Bio-Obst hinweist”.
Vermutlich bräuchte es keine aufwändigen Computerberechnungen, um darauf zu kommen, dass Kunden mit einer Vorliebe für Naturkosmetik auch ökologisch erzeugte Äpfel und Bananen bevorzugen. Aber vielleicht überrascht die künstliche Kaiser’s-Intelligenz nach einiger Zeit ja damit, dass sie Begehrlichkeiten aus dem Unterbewusstsein auf Thermopapier zaubert. Mit ungewöhnlichen Produkten, die man schon immer mal kaufen wollte, sich bislang aber nie getraut hat! Lebensmitteln, von denen man gar nicht wusste, dass man sie mochte, und erst durch Kaiser’s davon erfährt! Also zum Beispiel …
… Chips, Kaugummi, Margarine, Nudeln und Müsli?
Seit drei Monaten zieh ich jetzt “Extra Sparscheine” aus dem roten Terminal im Kaiser’s-Markt, der nicht direkt auf meinem Heimweg liegt. (Der, der auf meinem Heimweg liegt, gehört nicht zu den Testmärkten.) Und vielleicht kommt es daher, dass ich dort nach der Arbeit immer nur Minimaleinkäufe erledige, weil die Schlangen zu Stoßzeiten bis weit in die Flure hineinreichen. Jedenfalls sehen meine “persönlichen Angebote” jedes Mal so aus, als hätte die künstliche Intelligenz grad keinen Bock gehabt zu rechnen und sie stattdessen ausgewürfelt.
Freilich könnte das auch daher kommen, dass es Kaiser’s nur sehr am Rande darum geht, treue Kunden zu belohnen, sondern vielmehr: sich selbst und die Markenindustrie.
Dass auf den “Sparscheinen” fast ausschließlich Markenartikel stehen, ist natürlich kein Zufall. Die kooperierenden Hersteller hoffen, dass ihre Produkte eher in den Einkaufswägen landen, wenn die Kunden sie als Angebot aus dem Terminal gezogen haben. SO1 verspricht wiederum, einen individuellen Rabatt für jeden Kunden zu errechnen. Je nach vermuteter Preisempfindlichkeit kriegt der eine auf ein Produkt dann vielleicht 20 Prozent Rabatt, jemand anderes aber nur 10 oder 15. Im Grunde genommen sind die “persönlichen Angebote” also nix anderes als die unpersönlichen Angebote im wöchentlichen Werbeprospekt. Bloß für manche Kunden, von denen die Kaiser’s-Technologie vermutet, dass sie den Geldbeutel etwas lockerer sitzen haben, zu schlechteren Konditionen.
Was für eine tolle, ähm – Belohnung.
Die Supermarktkette selbst hat auch was davon: Sie hofft, dass Extrakarten-Kunden die herabgesetzten Markenartikel kaufen und dann nicht nochmal woanders einkaufen gehen (zum Discounter), also dank der Lockmittel insgesamt mehr Geld in der Kaiser’s-Kasse lassen. Und das wäre ja auch völlig legitim, würde Kaiser’s gegenüber seinen Kunden für die Werbung im Belohnungspelz nicht mit dem Satz werben:
“Einfach. Günstig. Extra für Sie!”
Ist halt nur mittelrichtig. Passt aber zum restlichen Schlamassel.
Das Risiko, dass Kunden sich auf den Arm genommen fühlen, wenn ihr Supermarkt sie dazu auffordert, bei jedem Einkauf einen ellenlangen “Sparschein” auszudrucken, aber an der Kasse dann bitteschön der Umwelt zuliebe auf den Ausdruck des halb so großen Bons zu verzichten, nimmt Kaiser’s bei seinem Test in Kauf.
Die kleinen Belohnungen, die Kunden dafür kriegen, dass sie sich derart für Promotion- und Umsatzerhöhungszwecke einspannen lassen, gibt es – wie bei Waitrose in Großbritannien – immerhin sofort. Unten auf jedem “Sparschein” ist jedes Mal ein neues Produkt gedruckt, das sich bei diesem Einkauf gratis mitnehmen lässt. So weiß man gleich, was man als treuer Kunde wert ist: ein Duplo (-150 Punkte), ein Schälchen Milchreis (-350 Punkte) oder eine Tüte Gummibärchen (-500 Punkte).
Fotos: Supermarktblog