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Channel: Peer Schader, Autor bei Supermarktblog
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Warum Kitschkulissen im Supermarkt bloß Bauernfängerei sind

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Die modernsten Supermärkte bauen in Deutschland oft nicht die großen Ketten, sondern deren selbstständige Kaufleute.

Vor knapp zwei Jahren eröffnete zum Beispiel der Edeka Niemerszein in der Langen Reihe (Foto oben), nicht weit vom Hamburger Hauptbahnhof. Obwohl er im Erdgeschoss eines Neubaus liegt, fällt Tageslicht in den Laden; große Lichtflächen und Spots sorgen zusätzlich für Antigrottenatmosphäre; Regale, Käsetheken und sogar Gefriertruhen haben sich Echtholz übergeworfen, um sich für die Kundschaft schick zu machen; und in der Ladenmitte stehen Zierpflanzen im Steinbett. Elektronische Preisetiketten gehörten bei Edeka Niemerszein schon vor zwei Jahren zum Standard (siehe Supermarktblog). Das ist alles ganz schön vornehm. (Außer von außen.)

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Mit ihrem Rewe-Markt in den Kölner Opern-Passagen (siehe Supermarktblog) haben die Gebrüder Richrath im vergangenen Herbst noch einen draufgesetzt. Mitten in der Fußgängerzone wurden 1600 Quadratmeter, die vorher zur Rewe-Elektronikkette Pro Markt gehörten, umgebaut. Jetzt gibt’s dort auf zwei Etagen Lebensmittel, mitten in der Stadt. Die Gänge sind breit und erfreulich stapelfrei, und die Fläche vor der Getränkeabteilung im Untergeschoss ließe sich problemlos an eine örtliche Tanzgruppe vermieten, ohne dass deren Proben für die nächste Aufführung den Einkauf stören würden.

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Im Erdgeschoss wachsen stilisierte weiße Bäume aus der Obsttheke, um aus ihren runden weißen Kronen die Auslage zu beleuchten.

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In beiden Läden spielen Produkte aus der Region eine große Rolle: In einem dicken Büchlein stellt Niemerszein Landwirte, Imker und Pralinenproduzenten vor, deren Lebensmittel im Laden zu kaufen sind; Köln hat eine eigene Wand mit Abreißzetteln, auf denen erklärt wird, wo “Unsere regionalen Champignons”, “Unsere regionalen Gartenkräuter” und “Unsere regionalen Eier” herkommen.

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Und eigentlich könnte dieser Blogeintrag hier zu Ende sein – hätten die beiden Läden nicht noch etwas anderes gemein: ihre supermarktmöbelgewordene Tendenz zur Einkaufsnostalgie.

Seinen sonst durchweg modernen Markt hat Edeka Niemerszein mit einem “historischen Kaufmannsladen” ergänzt und wirbt damit ausgerechnet unter dem markigen Werbespruch: “So sieht’s in Hamburgs modernstem Supermarkt aus!” Also: so wie vor hundert Jahren? Marmeladen, Weine und Schokoladentafeln sind in vielverschnörkelte Holzschränke einsortiert. Unter die Decke wurden spießige Landschaftsidyllen gepinselt. Vorne steht eine hölzerne Ziertheke mit güldenen Kaffeebohnen-Behältern samt Aufbewahrungsschrein für Olivenöl. Und wer lange genug auf den fliesenverzierten Boden sieht, dem erscheint vermutlich eine wiederauferstandene Tante Emma in 3D.

Es ist eine schrecklich spießige Ecke.

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Derweil haben Richraths in die Mitte ihrer Obst- und Gemüseabteilung einen historischen Traktor geparkt, der eigentlich ins Museum gehören würde. In den Nebengängen sind Lebensmittel in weißen Nostalgieschränken untergebracht, die so aufwändig mit Landwirtschaftsdevotonalien dekoriert wurden, dass dort jederzeit eine beim Stadturlaub gestrandete Bauerntheater-Gruppe ihr komplettes Stückrepertoire aufführen könnte.

Glänzende Melkeimer, lächerlich sterile Mehl- und Kartoffelsäcke, mit Ziergemüse überlaufende Körbe und metallen schimmernde Gießkannen zeugen von einer besseren Lebensmittelwelt – obwohl untendrin bloß die übliche Fertigessenpampe in der Dose und Geschmacksverstärker-Pülverchen aus dem Tütchen drinstehen. Ein unbekannter Bauer hat sogar seine Gummistiefel blank gewienert, bevor er sie auf dem Salat- und Smoothiekühlregal vergessen hat. (Wie immer er da hochgekommen ist.)

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Es ist eine Dekoration, die naturentwöhnte Städter an die Ursprünglichkeit der Lebensmittelproduktion vom Lande erinnern soll. An die gute, alte Zeit, als alles, was abends auf den Tisch kam, vom Bauern nebenan hergestellt wurde. (Nur ohne den lästigen Schmutz und die Erde.) Und eine Kulisse, die von von den Realitäten der Lebensmittelindustrie abzulenken versucht, indem sie etwas vorspiegelt, das es so nicht mehr gibt. Zeitgemäß ist diese künstlich erzeugte Einkaufsnostalgie, mit der sich Händler Kundenvertrauen erschleichen wollen, ganz bestimmt nicht.

Die modernsten Supermärkte bauen in Deutschland oft nicht die großen Ketten, sondern deren selbstständige Kaufleute. Die kitschigsten aber leider auch.

Fotos: Supermarktblog


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