Das Tor zum Supermarkthimmel und das zur Supermarkthölle sehen sich manchmal zum Verwechseln ähnlich. So zum Beispiel:
Wo Sie landen, wenn Sie die Pforte durchschritten haben, kommt ganz auf Ihre Erwartungshaltung an.
Kunden, die sich jeden “Super-Samstag” bei Lidl im Kalender anstreichen, um günstige Lebensmittel fast kostenlos zu bekommen, die auch bei Edeka am liebsten “Gut und günstig” kaufen, aber auch Kunden, die ausschließlich Lebensmittel mit Bio-Garantie kaufen, kurz: für alle, die im deutschen Supermarktsystem (a)sozialisiert wurden, ist die niederländische Lebensmittelmarktkette Marqt der Horror. Weil darin fast keine der Regeln gilt, an die sich die Deutschen gewöhnt haben.
Keine Sonderangebotsbrüllerei: Das Design der Läden passt sich der jeweiligen Lokalität an, und nicht einer zentral designten Gleichförmigkeit. Platz für quietschbunte Sonderangebote oder Werbetafeln gibt es nicht. Dafür schlichte Metalltresen und -regale. Und jede Menge unperfekten Industriehallencharme.
Keine Bio-Garantie: Marqt hat reichlich Bio-Lebensmittel im Sortiment, macht daraus aber kein Dogma. Oberste Regel ist stattdessen: Lebensmittel sollen möglichst frisch sein, möglichst regional und – wenn sie verarbeitet sind – möglichst wenig Zusatzstoffe haben.
Kein Bargeld: Für deutsche Kunden dürfte das der größte Schock sein. Immerhin macht der hiesige Handel 54,4 Prozent seiner Umsätze mit Leuten, die an der Kasse ihre Geldbörse hervorkramen und dann nach Scheinen und Münzen suchen. Die Deutschen sind ein Volk der Barzahler und Plastikkartenskeptiker. Der Anteil der Debit- und Kreditkarten ist zwar gestiegen, bezahlt werden damit jedoch vor allem große Beträge. Das EHI Retail Institut hat im vergangenen Jahr festgestellt:
“Auf die Zahl der Transaktionen bezogen sieht das ganz anders aus: Vier von fünf Einkäufen werden noch immer bar bezahlt.”
Bislang gibt es kaum Initiativen des Handels, uns das abzugewöhnen. (Kennen Sie eine? Dann schreiben Sie die doch bitte in die Kommentare.) Marqt hat einfach ein Schild an den Eingang seiner Läden gestellt und weist Kunden freundlich darauf hin, bitte ein Plastikbezahlmittel bereit zu halten. Das sei sicherer und gehe schneller, argumentiert die Kette.
(Dass es auch günstiger für Marqt ist, steht da natürlich nicht. Geld zu zählen und ohne Schwund sicher vom Laden in die Bank zu bringen, kostet halt auch Geld. Dm hat deshalb die Preise mit den 5er-Endungen eingeführt, um wenigstens den Aufwand mit Cent-Münzen möglichst klein zu halten.)
Alle, die sich mit diesen Besonderheiten anfreunden können, stehen in einem Laden, dem man anmerkt, dass er erst 2008 gegründet wurde – weil er nicht so funktioniert wie andere Supermärkte.
Die Gründer Quirijn Bolle und Meike Beeren wollten einen Supermarkt, der mehr Wert auf die Qualität der Lebensmittel legt, die er verkauft, auf Kontakt zu den Produzenten, auf Geschmack. “Wir fanden, es war Zeit für eine Veränderung”, erklärt Bolle. “Eine Veränderung, wie Lebensmittel in den Niederlanden angeboten werden und wie mit den Herstellern zusammengearbeitet wird.” Marqt beziehe Produkte ohne Umwege über den Großhandel direkt von den Erzeugern. Deshalb gebe es viele saisonale Produkte im Angebot. Obst und Gemüse könne direkt nach der Ernte im Laden verkauft werden.
Das geht vermutlich auch deshalb, weil die kleine Kette derzeit gerade mal neun Läden umfasst, die meisten davon in Amsterdam, weitere in Rotterdam, Den Haag und Haarlem.
Und weil sie keine Anstalten macht, die großen Konkurrenten zu kopieren. Lebensmittel werden, soweit möglich, nicht in Supermarktmöbeln versenkt, sondern aufgetürmt, angerichtet, präsentiert.
Dann braucht man auch keine riesigen Werbetafeln aufzuhängen, um den Kunden weiszumachen, dass man “gutes Obst” am “guten Obst” erkennt. Die Leute können ja an den Produkten selbst sehen, ob die Qualität stimmt.
Und schmecken.
Fleisch und Fisch werden an metallenen Theken verkauft, über die sich frei in den Arbeitsraum der Mitarbeiter schauen lässt. Die Theke mit dem Backofen sieht nicht wie in anderen Märkten so aus, als sei sie von einem besonders findigen Designer zur perfekten Backstubeninszenierung entworfen worden – sondern so, als würde dort wirklich gearbeitet.
Discount-günstig ist Marqt nicht, Sie können nicht bar bezahlen, und es stehen auch nicht 24 Alternativen ein- und desselben Produkts im Regal. Ob Kunden das jetzt Himmel oder Hölle finden, liegt aber wirklich ganz allein an deren Erwartungshaltung.
Fotos: Supermarktblog