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Channel: Peer Schader, Autor bei Supermarktblog
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Die wurstgewordene Vitamintablette: Edekas Eigenmarken aus dem Lebensmittellabor

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Omega-3-Wurstaufschnitt von Edeka

Edeka ist es kürzlich gelungen, die Worte “Bratwurst” und “lebensnotwendig” in ein- und demselben Gedankengang für eine neue Eigenmarkenwerbung unterzubringen.* Und ganz sicher wird dieses Kunststück in die Marketing-Historie des deutschen Handels eingehen. Vorerst bleibt es aber die einzige Gewandtheit, mit der Edeka sein aktuelles Fleischsortiment zu begleiten im Stande ist.

In der vergangenen Woche sorgte ein im Netz veröffentlichter Protestbrief an die Verantwortlichen von Deutschlands größtem Lebensmittelhändler für Aufmerksamkeit, der sich kritisch damit auseinander setzte, dass Edeka zum geschlechtsspezifischen Bratwurstverkauf rät – und deshalb “Frauen-Bratwurst, besonders mager” bzw. “Männer-Bratwurst, deftig, kräftig gewürzt” anbietet.

(Zu einer annehmbaren Antwort auf diese Kritik wollte sich in der Hamburger Zentrale offensichtlich niemand herablassen.)

Dabei ist das nicht die einzige “Wurstinnovation”, die der Händlerverbund derzeit vorzuzeigen hat. Seit einigen Wochen bewirbt Edeka massiv “eine wirklich spannende Neuheit”, die es “exklusiv” in den eigenen Läden zu kaufen gebe, einen “wissenschaftlichen Erfolg”, der den Forschern des Fraunhofer-Instituts für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV gelungen sei: Die neue Omega-3-Wurstserie. Oder wie Edeka es in seinem Händlermagazin formuliert:

“Lecker trifft gesund.”

Die Omega-3-Würste sind so eine Art fleischgewordene Vitamintablette. Sie enthalten die Omega-3-Fettsäuren DHA (Docosahexaensäure) und EPA (Eicosapentaensäure), die von der Wissenschaft als wichtiger Ernährungsbestandteil eingestuft werden, laut Edeka “zu einer normalen Herzfunktion bei[tragen]“, dummerweise aber keine natürlichen Wurstingredienzien sind. Stattdessen stecken sie vor allem in fettreichen Fischen wie Lachs, Makrele, Hering und Tunfisch. Die haben wiederum ein entscheidendes Problem: Die Deutschen essen zu wenig davon.

Also hat sich Edeka gedacht: Wenn der Konsument nicht zur Fettsäure kommt, muss die Fettsäure eben zum Konsumenten kommen. In die Wurst.

Falls Sie der technische Ablauf interessiert: Die IVV-Fraunhofer-Pansch… – äh: Forscher haben zu diesem Zweck “eine hochreine Form” der Fettsäuren aus Fischöl extrahiert, ein so genanntes “Ethylester”, das dann “als Emulsion in die Wurstbrätmasse eingearbeitet” wird: in Weißwurst, Leberkäse, Paprika-Lyoner, Bierschinken, Wiener und eben Bratwurst – allesamt fettreduziert (oder wie Edeka sagt: “gesund”) und mit dem Edeka-Eigenmarkenlogo auf der Verpackung. Die Emulsion verhindere zugleich, “dass die Produkte einen Fischgeruch entwickeln – ein wichtiges Verkaufsargument für Konsumenten”.

Nochmal zum Mitschreiben:

Weil wir zu wenig Fisch essen, obwohl das Gegenteil ernährungstechnisch ratsam wäre, stattdessen aber sehr gerne Wurst, hat Edeka die guten Fettsäuren aus dem Fisch in die Wurst massiert und rühmt sich jetzt damit, dass die nicht mal nach Fisch schmeckt.

Merkt sonst noch jemand, dass da was nicht stimmen kann?

An die regelmäßige Zufuhr tablettenförmiger Nahrungsmittelergänzungen haben uns die Drogerien inzwischen genauso gewöhnt wie die Nahrungsmittelkonzerne daran, Zuckerbonbons per angereichertem Vitamin C als vermeintlich gesunde Nascherei misszuverstehen.

Aber wäre es für Leute, die Wert darauf legen, sich ausgewogener zu ernähren, nicht sinnvoller, sie würden öfter mal einen lecker zubereiteten Fisch essen – anstatt bei Edeka Frankensteins Würstchen zu kaufen?

Aus Sicht des Supermarkts nicht. Edeka hat eine lange Wurstpanschtradition. In den vergangenen Jahren sind schon mehrere “Innovationen” in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer Institut IVV entstanden, die dann als Patent gesichert wurden. Dazu gehören unter anderem:

Edeka-Fix für Sauce Bolognese
Für Kunden, die enttäuscht sind, dass sie zu der Fix-Gewürzmischung aus dem Supermarkt auch noch selbst Fleisch in die Pfanne tun müssen, damit’s ein Fleischgericht wird, hat Edeka ein Verfahren erfinden lassen, mit dem das Hack gleich mit in die Packung darf. Ohne gekühlt werden zu müssen. Damit “kann dieser Zubereitungsschritt eingespart werden”, meldet das Fraunhofer-Institut IVV stolz.

Fix-und-Foxi-Kinderwurst
Edeka zufolge ein “fettreduzierter Genuss für die Kleinen”, der “besonders viel hochwertiges Eiweiß” enthält, “reich an Vitaminen und Mineralstoffen” ist, also sozusagen das bessere Gemüse, und hoffentlich anders als der Name suggeriert vollständig fuchsfleischfrei. Edeka findet, die Fix-und-Foxi-Würstchen seien ein Produkt, “das mindestens genauso gut schmeckt wie herkömmliche Wurst, aber deutlich gesünder”.

(Entwickelt übrigens von den Machern des Produktnamenunglücks “Viel-Leicht”, einer “neuen Wurstgeneration”, die sehr mager ist. Natürlich wieder dank einem “innovativen Herstellungsverfahren”.)

Ich bin nicht ganz sicher, ob das neulich ein Versehen war, als Edeka seinen Newsletter mit dem Schwerpunkt “Einfach richtig essen” verschickte und dazu eine Ernährungspyramide abbildete, in der weit und breit keine Zombiewurst zu sehen war. Aber wenn das hochverehrte Fraunhofer Institut IVV dann mit seinen Fleischpuzzles durch wäre, könnte dort vielleicht jemand anfangen, sämtliche wichtigen Ernährungsbausteine in einem Glas Nutella unterzubringen.

Nur eine Frage noch, Edeka: Ihr liebt Lebensmittel. Stimmt doch noch, oder?

* * *

*”Ab sofort führt Edeka in allen Märkten eine neue Generation von Wurstprodukten ein. Sie sind mit lebensnotwendigen Omega-3-Fettsäuren angereichert. Das neue Eigenmarken-Sortiment reicht von Lyoner bis Bratwurst – und ist exklusiv bei Edeka erhältlich.” (zurück)

Foto: Fraunhofer-Institut IVV


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