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Channel: Peer Schader, Autor bei Supermarktblog
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Zu wenig Bestellungen? Amazon Fresh laufen die „Lieblingsläden“ davon

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Am Montag hat Amazon in Seattle seinen ersten kassenlosen Supermarkt Amazon Go eröffnet (TechCrunch staunt über die „viele, vielen Kameras“, die „Seattle Times“ ist Amazon-Go-VP Gianna Puerini beim Einkaufen gefolgt) – allerdings erst nach monatelanger Verzögerung,

Auch anderswo ist der Einstieg ins Lebensmittelgeschäft kein Selbstläufer. Ein Dreivierteljahr nach dem Deutschland-Start hakt es bei Amazons Lebensmittel-Lieferdienst Fresh: Während in Medien über eine baldige Ausweitung des Diensts in weitere deutsche Städte spekuliert wird, hat Amazon das Angebot in der Hauptstadt still und heimlich eingeschränkt – ausgerechnet bei den „Lieblingsläden“, mit denen sich der Konzern von anderen Liefersupermärkten abheben will.

„Lieblingsläden“ nennt Amazon lokale Händler, deren Produkte die Fresh-Kunden mit ihren übrigen Einkäufen nachhause gebracht kriegen: aus Feinkostgeschäften, von Bäckereien, Kaffeeröstern (u.a.).

Zum Start im Mai des vergangenen Jahres stellte Amazon diesen Zusatznutzen stark heraus und erklärte:

„Kunden profitieren mit AmazonFresh zudem von einem großen Angebot aus mehreren hundert Produkten von über 25 Berliner Lieblingsläden.“

Gegenüber Zeit Online sagte Florian Baumgartner, Director Amazon Fresh Deutschland, damals:

„Wir glauben, dass unsere Kunden den Service schätzen werden, lokale Spezialitäten direkt an die Tür geliefert zu bekommen. Deshalb werden wir das Programm weiter ausbauen und neue Lieblingsläden aufnehmen: sowohl solche Läden, die von unseren Kunden vorgeschlagen wurden, als auch solche, von denen wir glauben, dass sie Qualitätsprodukte für unsere Kunden anbieten.“

Von einer Ausweitung kann nach neun Monaten allerdings keine Rede sein, im Gegenteil: Von den 28 „Lieblingsläden“, die am Anfang in der Hauptstadt dabei waren, hat sich ein Drittel inzwischen schon wieder verabschiedet, u.a. der Schokoladenhersteller Rausch, Feinkostläden wie Maître Philippe et filles und Raamson, der Kaffeeröster Bonanza sowie Smoothie- und Suppen-Lieferant dean & david.

„Lieblingsläden“ im Mai 2017:


Screenshot: Amazon.de/Smb

„Lieblingsläden“ im Januar 2018:


Screenshot: Amazon.de/Smb

Auf die Frage, wie die (insgesamt neun) Abgänge zu erklären sind bzw. ob es Ersatz gibt, äußert sich Amazon nicht. Sprecherin Christine Maukel weicht stattdessen aus:

„Das Sortiment von AmazonFresh kann je nach Verfügbarkeit und Kategorie variieren – das gilt auch für das Angebot der Lieblingsläden. Bitte haben Sie Verständnis, dass wir Lieferantenbeziehungen darüber hinaus nicht kommentieren.“

(So schnell wird bei Amazon aus einem zentralen Kundenversprechen also eine nicht kommentierbare „Lieferantenbeziehung“.)


Foto [M]: Amazon/Smb

Bei einigen Abgängen liegt der Grund auf der Hand: Das Münchner Blumenliefer-Start-up Miflora beispielsweise wurde im vergangenen Herbst von Blume2000 übernommen und bietet seine Dienste seitdem nur noch Firmenkunden an. Für andere „Lieblingsläden“ scheint die Kooperation mit Amazon Fresh schlicht und einfach nicht das gebracht zu haben, was man sich erhofft hatte.

Ein Händler erklärt auf Supermarktblog-Anfrage:

„Wir haben das Einstellen von Produkten ausgesetzt, da sich der Aufwand für uns [im Vergleich] zur Zeit nicht lohnt.“

Ähnliches ist von anderen Händlern zu hören, die ihre Fresh-Bestellungen zu einem zentralen Abholpunkt transportieren mussten. Bei vielen besteht weiter Interesse, aber die meisten wollen erst beobachten, wie sich Fresh weiterentwickelt.

Schau’n Sie mal, ein Industrieprodukt!

Dafür, dass die Bestellmengen bei vielen Partnern offensichtlich überschaubar geblieben sind, gibt es (außer einer geringen Gesamtzahl der Besteller) viele mögliche Gründe: Entweder hat sich Amazon bei der Auswahl der „Lieblingsläden“ verschätzt. Oder den Fresh-Kunden ist die zusätzliche Sortimentsauswahl nicht so wichtig wie Baumgartner gedacht hat.

Eine wesentliche Rolle dürfe auch spielen, dass sich Amazon auf der Fresh-Startseite in den vergangenen Monaten nicht gerade überanstrengt hat, Kunden die Auswahl der lokalen Partner schmackhaft zu machen – die Sortimente seien ziemlich „versteckt“, kritisiert ein Partner. (In der Amazon-App kommt man zur „Lieblingsläden“-Übersicht nur, wenn man am oberen Bildschirmrand der Fresh-Starseite auf den hellgrauen Pfeil drückt und an dritter Stelle im Dropdown-Menü klickt.)

In großer Regelmäßig werden hingegen Produkte großer (und vermutlich: gut zahlender) Industriehersteller hervorgehoben. Gerade gibt’s „Maggi Würzmischungen“  als Kostenlos-Zugabe für jeden Besteller, hurra!


Screenshot: Amazon.de/Smb

All das dürfte es Amazon nicht unbedingt leichter machen, weitere lokale Hänlder davon zu überzeugen, Teil von Fresh zu werden. (Falls das überhaupt noch geplant ist oder nicht bloß ein PR-Satz von Fresh-Chef Baumgartner war.)

In München, wo Fresh erst Anfang November des vergangenen Jahres gestartet ist, sind (vorerst) weiterhin alle „Lieblingsläden“ an Bord – bis auf einen, der auch in Berlin fehlt: ausgerechnet die Bio-Supermarktkette Basic, mit der Amazon auch für den Schnell-Lieferdienst Prime Now kooperiert (siehe Supermarktblog).

Kein Bio mehr von Basic?

Fresh-Kunden müssen hingegen seit kurzem auf Basic-Produkte verzichten – warum, erklärt der in der Kundenkommunikation sonst stets auf Transparenz bedachte Bio-Händler nicht. Basic-Marketing-Leiter Manuel Zalles-Reiber hat auf mehrfache Supermarktblog-Anfrage nicht geantwortet.

Der Wegfall des Bio-Sortiments ist die deutlichste Verschlechterung des Fresh-Angebots, weil dadurch nicht nur Basic-Eigenmarkenprodukte, sondern plötzlich auch viele Artikel bekannter Bio-Hersteller in der Auswahl fehlen, die sonst kein anderer Partner beisteuert. (Über Tegut sind weiterhin Eigenmarkenartikel des Wettbewerbers Alnatura verfügbar.)

Möglich wäre, dass es sich dabei um eine vorübergehende Einschränkung handelt, ähnlich wie zuletzt beim Partner Kochhaus (siehe Supermarktblog). Seinen Kunden kann oder möchte Amazon das aber nicht verraten. Vom Kundenservice heißt es:

„Unser Angebot kann sich je nach Verfügbarkeit ändern und wir können leider nicht garantieren, dass Produkte von Basic Bio in Zukunft wieder bei AmazonFresh erhältlich sein werden.“

„… und der Einkauf ist gemacht“

Verlässlichkeit gehört im Online-Versandhandel zu den wichtigsten Voraussetzungen für Unternehmen, um Kunden dauerhaft zu halten. Das gilt erst recht für den Versand frischer Lebensmittel. Wer sich daran gewöhnt hat, seinen Wocheneinkauf übers Netz zu erledigen, der wird sich kaum ständig umgewöhnen wollen, weil ein wesentlicher Teil der regelmäßig gekauften Produkte plötzlich fehlt. (Im stationären Handel kann Kaufland davon ein trauriges Lied singen.)

Genau das verlangt Amazon aber von seinen Fresh-Kunden, die diese Ungewissheit auch noch mit zehn Euro pro Monat bezahlen sollen, während Amazons für Fresh mit der Floskel wirbt: „… und der Einkauf ist gemacht“.

Auf seinem Weg zum Liefer-Supermarkt gibt es für den sonst stets für sein kundenzentriertes Denken gerühmten Online-Händler offensichtlich noch einiges zu lernen.

Titelfoto [M]: Amazon/Smb

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