Wir haben uns hier versammelt, um einem ganz großen zu gedenken, einem ganz großen Irrtum: Aldis „Backofen“, der den Discount-Kunden im Süden der Republik fast ein Jahrzehnt, nun ja: Dienste geleistet hat.
Bereits kurze Zeit nach ihrer Einführung brachten die riesigen Backtresore den Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks auf die Palme (siehe Supermarktblog von 2011), weil der nicht hinnehmen wollte, dass Aldi behauptete, in den Automaten würde tatsächlich „gebacken“ (anstatt bloß aufgetaut und angebräunt, wie die Kritiker meinten). Der vor Gericht ausgetragene Streit endete nach Jahren damit, dass man sich darauf einigte, sich nicht einigen zu können. Aldi darf weiter damit werben, in den „Backöfen“ zu backen.
Dennoch deutete sich bereits vor einem Jahr an, dass die Zeit der monströsen Apparate bald vorbei sein würde. Damals erklärte Aldi, in rund 70 Filialen Alternativen zu testen, nämlich „die Auslage von Brotwaren in Theken“, wie die „Allgemeine Bäcker Zeitung“ es formulierte. (Wir sind hier ja unter uns und sagen der Einfachheit halber: Brötchenknast.)
Auf Supermarktblog-Anfrage bestätigt eine Aldi-Süd-Sprecherin:
„Es ist richtig, dass die Unternehmensgruppe ALDI SÜD aktuell verschiedene Backsysteme testet, darunter auch das Manuelle Backen in ausgewählten Filialen. Im Rahmen der Tests prüfen wir auch mögliche Sortimentserweiterungen im Bereich Backwaren. Bitte haben Sie Verständnis, dass wir zur Zeit darüber hinaus keine weiteren Angaben machen möchten.“
Das heißt: Offiziell mag Aldi Süd seinen „Backöfen“ immer noch keinen Korb geben.
Dennoch ist es höchste Zeit, den Apparaten ein leises Adieu hinterher zu rufen und sich noch einmal die schönsten schrecklichsten Bilder der vergangenen Jahre anzusehen (bzw. natürlich: den Ersatz, zu dem Aldi Süd bislang „keine weiteren Angaben“ machen möchte – obwohl die Lösung durchaus zu Angebereien berechtigen würde; gleich mehr dazu ).
Der Backtresor
„Bitte pro Stück entsprechende Taste 1x drücken“, „Das Betätigen einer Taste verpflichtet zum Kauf“, und nach „Entnahme der Backwaren“ nicht vergessen, die „Hygienehandschuhe“ in den alleruntersten Schlitz des Aufbackschranks zu entsorgen. Wer dachte, der Einkauf von Brot und Brötchen sei eine relativ unkomplizierte Angelegenheit, wurde vom „Backofen“ bei Aldi Süd stets eines Besseren belehrt: Erst lesen, dann drücken, dann warten. Klonk.
Klonk – Geräusch, das nach Betätigung der Taste an einem Aldi-Aufbackautomaten durch das Herausfallen des angeforderten Aufbackartikels in die Auffangschale entsteht.
Auf dem Papier mag der „ALDI-Backofen“ nach einer hervorragenden Erfindung ausgesehen haben: ein Apparat, der auf Knopfdruck automatisch „frische“ Brötchen lieferte, relativ wenig Ausschussware produzierte und keinen großen Personalaufwand benötigte – eine clevere Lösung.
Jedenfalls so lange man nicht direkt vor der massiven Ockerwand stand, einen der hässlichen blauen Knöpfe drücken musste und sich vorzustellen begann, welche Wichtel im Innern der Apparatur gerade geweckt wurden, um ein läppisches Weizenbaguette in den Ausgabeschacht zu schieben.
Richtig warm geworden sind viele Kunden mit den Backtresoren (ähnlich wie die ausgespuckten Brötchen) jedenfalls nie.
Der erweiterte Backtresor
Daran half auch die spätere Sortimentsausweitung auf mehr als sieben Artikel nichts. Das größte Manko der Aldi-Anschaffung war und blieb, dass sie ihre durchaus verzehrbaren Produkte bestmöglich vor der Kundschaft versteckte – was gerade beim hochsensorischen Backwarenkauf problematisch ist.
(Wie jeder weiß, der in der Schlange beim Bäcker schon mal hinter einem Laugenbrezel-Salzkörnerabzähler stand oder selbst gerne ausführlichst die Schrippen in der Auslage auf den richtigen Bräunungsgrad untersucht.)
Konkurrent Lidl war da schlauer und zimmerte sich trotz vermutlich zweifelhafter Rentabilität frühzeitig riesige Brötchenknasts in die Filialen – um Kunden anzulocken, und weil es sich insgesamt gleich viel angenehmer einkauft, wenn es im ganzen Laden nach frischen Brötchen duftet.
Das Backtresor-Snack-Ensemble
In einem letzten Rettungsversuch verpasste Aldi Süd seinen „Backöfen“ für neu gestaltete Filialen eine edlere Front und integrierte sie in ein holzvertäfeltes Ensemble aus abgepackten Backwaren (Brot, Brötchen, Kuchen) auf der einen und gekühlten Snacks (Säften, Salaten, Sandwiches) auf der anderen Seite.
Im direkten Vergleich mit den Bemühungen der Discount-Schwester im Norden half aber auch das wenig – das Supermarktblog-Rennen um die schlauere Aufbacktaktik entschied Aldi Nord im vergangenen Jahr klar für sich.
Der Luxus-Brötchenknast
In wenigen Jahren dürfte der Backtresor nur noch eine kuriose Randnotiz in der Discount-Geschichte sein. Zumindest wenn man sich ansieht, wie sich Kunden auf das Aufbackangebot stürzen, das Aldi Süd in seinem schicken neuen Brötchenknast „Meine Backwelt“ unterbringt.
Das Angebot ist in jeglicher Hinsicht das Gegenteil der „Backöfen“ – eine große, offene Theke bietet unter Brezelherzen-Logo über 30 Artikel zur Auswahl, die sich Kunden selbst in die Tüte rütteln können, so wie sie es von der Konkurrenz gewöhnt sind. Einige Zellen sind (noch) mit häufig gekauften Artikeln doppelt belegt. Eine Erweiterung des Sortiments wäre aber problemlos möglich. (Das oben abgebildete Thekenexemplar verfügt, wenn ich richtig gezählt habe, über 64 Einzelfächer.)
Die Integration in ein Abpack-Backwaren- und Snack-Ensemble („Coolbox“) – inklusive Brotschneidemaschine – scheint Aldi Süd beibehalten zu wollen, und ist damit plötzlich vielen Wettbewerbern voraus, die ihre vorrangig zu Snack-Zwecken einkaufende Kundschaft einmal durch den halben Laden schickt, um Salat, Smoothie und Schrippe nacheinander abzuholen.
Nur der Transfer in andere Filialen dürfte nicht so einfach werden. In jedem Fall werden Anpassungen des Konzepts nötig sein, weil vielerorts der Platz fehlt, um vier Meter „Meine Backwelt“ auf der Verkaufsfläche unterzubringen – zumal dort im Zweifel auch noch aufgebacken werden muss, weil kein separater Raum für Vorbereitung, Lagerung und Zellenbefüllung zur Verfügung steht.
Möglicherweise ändert das Aldi Süd (wie einst Lidl) im Zuge der angekündigten Filialmodernisierungen, die bis 2019 umgesetzt sein sollen.
In jedem Fall ist „Meine Backwelt“ ein sehr viel zeitgemäßeres Konzept als der bisheriger Aufbackirrtum. Und ein untrügliches Zeichen dafür, dass Discount im Jahr 2018 deutlich viel mehr Komplexität riskieren muss, um den Kundenbedürfnissen zu entsprechen, als das noch vor zehn Jahren der Fall war. Adieu, alter Aufbacktresor! Wir werden dich nicht vermissen.
Mehr zu den Modernisierungen bei Aldi Süd steht bald im Supermarktblog.
Fotos: Supermarktblog
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