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Channel: Peer Schader, Autor bei Supermarktblog
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Kein Platz für Bescheidenheiten: Zurheides Vorzeigesupermarkt im Düsseldorfer Crown

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Um den Lebensmitteleinkauf vom Stigma der lästigen Pflicht zu befreien und stattdessen zum Vergnügen zu adeln, hat die Bottropper Kaufmannsfamilie Zurheide Ende März in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt Düsseldorf nicht nur einen Vorzeigesupermarkt eröffnet, den ihr (schon aus wirtschaftlicher Vernunft) so schnell keiner nachmachen wird; sondern ihn auch mit Aphorismen großer Denker geschmückt.

„Kein Genuss ist vorübergehend; denn der Einruck, den er hinterlässt, ist bleibend“, spricht Goethe in güldener Schrift an der Wand zwischen Kassenzone und Reinigung; in der Süßwarenabteilung erinnert Oscar Wilde: „Versuchungen sollte man nachgeben. Wer weiß, ob sie wiederkommen“; und auf dem schweren Papier des Ladenfaltplans steht: „Qualität kann man lange erklären oder einfach leben“ – ein Zitat des Unternehmensgründers (bzw. Supermarktvisionärs) Heinz Zurheide.

„Willkommen in der Welt des Genusses“, heißt der Markt seine Kunden willkommen, und weil der Genuss quasi die ganzen 10.000 Quadratmeter Platz belegt, war natürlich keiner mehr da, um auch noch die Bescheidenheit einziehen zu lassen.

(Was sich nach dem kleinen Pressetext-Desaster im Vorfeld bereits ahnen ließ; inzwischen hat jemand aus der peinlichen Ursprungsversion – „die nächste Dimension am Feinschmecker-Firmament“ – ungekennzeichnet ein bisschen die Luft rausgelassen).

Zweifellos handelt es sich bei Zurheides neuester Filiale im Düsseldorfer Innenstadtkomplex Crown, einem aufwändig umgebauten Ex-Kaufhof, um eine Attraktion. Eine, an die nach fast einjähriger Eröffnungsverspätung (Umbaubilder vom Dezember bei RP Online), ganz enorme Erwartungen gestellt werden – nicht nur von Kunden und Journalisten, sondern auch vom Händler selbst, der in Gestalt des Gründersohns Rüdiger Zurheide in Interviews z.B. mit der „Rheinischen Post“ erklärt, am Funktionieren dieses einen Markts entscheide sich die Existenz der Kaufmannsfamilie:

„Von diesem Standort hängt unsere Unternehmensgeschichte ab.“

Das kann man mutig nennen. (Oder fahrlässig.) In jedem Fall gibt es zahlreiche Argumente, die dafür sprechen, dass sich der enorme Aufwand und das Risiko gelohnt haben.

Auch wenn das am Eingang des Markts nicht direkt zu ahnen ist, weil eine beachtliche Lichtinstallation erstmal darüber hinweg täuschen muss, dass die Obst- und Gemüse-Abteilung weder besonders kreativ noch in irgendeiner Form herausragend geraten ist, sondern einfach: sehr solide.

Das ist in diesem Fall nicht weiter schlimm, weil die meterlange weiße Kühltheke daneben unmittelbar klarstellt, dass Zurheide seinen Kunden (wie schon im „Feine Kost“-Vorgängermarkt am Düsseldorfer Stadtrand) hier nicht nur als Händler, sondern auch as Zubereiter zur Verfügung stehen will. Salate, Soßen, Snacks und Desserts werden in dem clever vor die Rollsteige gesetzen Küchenbumerang frisch geschnitten, mariniert, gerührt und für die Mittagspause mitnahmebereit eingeschalt.

Über schlichten, maximal unfliesigen Boden weht es einen direkt in „Biowelt“, einen kompletten Bioladen im Supermarkt, dessen üppiges Sortiment größtenteils in sehr eleganten Holzregalinseln untergebracht ist.

Der lokale Bio-Bäcker darf seine Brote in einem eigenen Quader präsentieren; und für den Lieferanten Bio-Zentrale hat der Händler sogar ein separates Türmchen reserviert. (Dem offiziellen Edeka-Bio-Partner Alnatura ist diese Ehre nicht zuteil geworden.)

Der größte Teil des klassischen Supermarktsortiments wartet im Untergeschoss. Aber wer vorher einmal ans gegenüberliegende Marktende rauscht und der dazwischen gebauten Süßwarenpräsenz zu widerstehen vermag, steht in einer Tiefkühlabteilung mit reduzierter Schwarz-weiß-Optik und stilvollen Metalllampen, die belegen, dass es zwischen Speiseeis und Pangasiusfilet nicht zwangsläufig fröstelig sein muss.

Noch sehr viel cooler ist die klassische Kühlabteilung eine Etage tiefer, in der man sich fühlt als sei man direkt aufs Käse-Kommandodeck der U.S.S. Zurheide gebeamt worden.

Joghurt, Quark und Weichkäse sind in futuristisch anmutende Kühlzüge einsortiert, die zum Boden hin so sanftblau leuchten, als seien sie nicht in eben diesem verschraubt, sondern schwebten auf einem unsichtbaren Lichtkissen darüber.

Ein derart aufgeräumtes Molkerei-Ensemble, das nicht sofort mit unnützen Aufstellern zugebaut wurde, gibt es sonst vermutlich nur in wenigen anderen europäischen Supermärkten.

Ohnehin hat die verantwortliche Ladenbau-Firma Interstore pingelig genau darauf geachtet, den Markt sprichwörtlich ins rechte Licht zu rücken. Durch das zuvor erwähnte Leuchtkunstwerk am Eingang ist der Blick von einer Etage in die andere möglich.

Und selbst der Schattenwurf in den Gängen ist äußerst apart inszeniert.

(Die Konkurrenz war auch schon da zum Gucken – und hat Ihre Spuren nicht ausreichend verwischt.)

Die eigentliche Attraktion im Untergeschoss sind aber zweifellos die fast ausnahmslos mit Direktverzehrmöglichkeiten aufgerüsteten Frischetheken: Zur Mittagszeit duftet es im linken Marktteil nach frisch gegrilltem Fleisch, an der „Premium Beef Bar“ wählt die von Genusseindrücken erschöpfte Kundschaft zwischen einem zackig gebratenen Wagyu Burger (16,90 €) und Kobe-Rind mit getrüffelter Sojasauce im Gegenwert eines Wochenverdiensts geringfügig beschäftigter Regaleinsortierer (200 g für 129 €).

Das kunstvoll dekorierte Gericht kriegt der hungrige Kunde direkt vor die Nase gestellt. Alternativ sitzt es sich auch ganz bequem an der gegenüber liegenden Schinken-Bar oder um die Ecke zur Käseverkostung am Mozzarella-Tresen.

Wer bei der Einnahme der Mittagsmahlzeit lieber unter sich bleibt, reserviert einen Tisch im separierten Speiselokal „Setzkasten“.

Und kann danach noch durch die Weinabteilung in Richtung Spirituosen und Champagner-Bar bummeln.

Dort angekommen hat sich der Markt schon arg in seine Düsseldorfhaftigkeit hineingesteigert. Dass er gleichwohl auch die klassischen Supermarktsortimente modern in Szene rückt, gleicht das aber gut aus. Zumal Zurheide (schon vor Jahren) begriffen hat, dass Lebensmittelhändler in Zukunft auch als Gastronomen immer gefragter sein werden.

Aus diesem Grund werden bereits die Markteingänge im Crown von gastronomischen Angeboten gesäumt, die etwas weniger exklusiv anmuten als im Untergeschoss, dafür aber auch eiligere Durchgangsesser ansprechen.

Im „Pythagoras“-„Restaurant“, einer aufgepimpten Form der Kaufhauskantine, gibt es eine ausschließlich vegetarische Buffetauswahl, die nicht nur für Düsseldorfer Verhältnisse einzigartig sein dürfte – und diese Einzigartigkeit auch an die Kasse überträgt. (Ein mäßig gefüllter Mittagsteller kostet abgewogen 12 Euro.)

Am gegenüber liegenden Ende testet die Düsseldorfer Bäckerei Büsch ein italienisch angehauchtes Café-Konzept. Dazwischen hat der Sushi-und-Sandwich-Lieferant Natsu Platz bekommen, ein eigenständiges Ladenformat zu testen. Dazu gibt’s eine Patisserie mit angeschlossener Kaffee-Bar.

Zackig abkassiert und pappsatt könnte man es an dieser Stelle dabei belassen und Zurheide viel Glück mit seinem zurecht unbescheiden präsentierten Mammutprojekt wünschen – gäbe es nicht auch zahlreiche Schwachstellen, die mit darüber entscheiden dürften, ob der Markt mit dem umständlichen Namen „Zurheide Feine Kost im Crown“ in ein, zwei Jahren als herausragender Erfolg gefeiert werden kann. Oder nicht.

Damit sind gar nicht mal die vielen kleinen Ungereimtheiten gemeint: Dass der ganze riesige Markt weitgehend auf Getränkekisten verzichtet, aber die (zwei) Pfandautomaten trotzdem ins Obergeschoss vors Parkdeck gebaut hat, wo die motorisiert anreisende Kundschaft 2 Euro pro Stunde dafür zahlt, unten bummeln zu können, während oben der Wagen steht.

Dass das gigantische Zuckerreich mit den Leuchtlogos der Unterstützer Lindt, Haribo und Fererro eher aussieht wie ein zu groß geratener Duty-Free-Shop in einem Flughafen.

Dass der Brötchenknast im Untergeschoss mit Lieken-Aufbackware eher keinen neuen Standard setzt.

Dass viele Sortimentsübergänge erstaunlich unklar sind, sich auch beim zweiten Durchgehen noch nicht so recht erschließen wollen (Smoothies neben Geschirrspültabs?).

Dass die Drogerieregale ein bisschen undankbar unter die Rollsteige gequetscht wurden.

Dass die Gastronomie im Erdgeschoss nicht wirklich als Bestandteil des Markts wahrgenommen wird.

Und dass der Aufwand an vielen Punkten in unnötiges Geprotze kippt, worauf die Ladendesigner eigentlich selbst hätten kommen können, als sie einen riesigen Glascontainer mit Gerolsteiner-Leuchtreklame ins Untergeschoss gehievt haben, um dort ein paar Limonaden und ein paar Biere kaltzustellen.

Das allergrößte Problem des modernsten Supermarkts des Landes ist jedoch, dass er sich nicht so recht entscheiden kann: weder für eine klar definierte Zielgruppe, noch für eine übersichtliche Struktur.

Das erste sieht die Gründerfamilie als Vorteil: Zurheide ist überzeugt, mit dem Markt Discountmarken-Käufer und Champagner-Auskenner gleichermaßen glücklich machen zu können. Das allerdings führt zu einem gewaltigen Balance-Akt auf Kosten der Glaubwürdigkeit.

Der Weg ins Gourmet-Restaurant führt an einem Nutella-Sonderangebotsstapel mit Billigaufbackbrötchen-Accessoire-Korb vorbei; wer bloß für den einfachen Einkauf kommt, wird beim Blick auf die Preisschilder im Standardsortiment hingegen das Gefühl nicht los, die Üppigkeit der edlen Theken mit seiner Kühlschrankbevorratung querzusubventionieren; gleichzeitig hat der Laden, der „Feine Kost“ im Namen trägt, furchtbar Angst, Kunden zu enttäuschen, die einfolierte panierte Schnitzel und Buletten mit Senfquetschbeutel für einen Euro in der Snacktheke erwarten.

Dass Zurheides Center im Crown – trotz des riesigen Innenstadtsortiments von 60.000 Artikeln – nur bedingt als Mainstream-Supermarkt taugen dürfte, liegt aber vor allem an der fehlenden Übersichtlichkeit.

Gleich zwei verschiedene Grundrisspläne waren zur Eröffnung Ende März ausgelegt, um Kunden zu helfen, sich im Markt zu orientieren. Das macht die Struktur aber nicht nachvollziehbarer: Obst und Gemüse am Markteingang sind gelernt, das Tiefkühlsortiment vor den Kassen ist praktisch – aber fast den kompletten übrigen Platz im Erdgeschoss belegen „Biowelt“, „Ferrero Arkaden“, „Lindt Shop“ und Konsorten.

Offensichtlich sind die übrigen Frischesortimente auch deshalb im Untergeschoss untergebracht, um dort als Lockmittel zu funktionieren – sonst bräuchte ja niemand für seinen Grundbedarfseinkauf die Rollsteige hinab schweben.

Das bedeutet aber auch, dass Kunden, die in der Mittagspause nicht bei „Pythagoras“ oder an der „Premium Beef Bar“ speisen wollen, sondern bloß schnell was fürs Büro mitnehmen, einen ziemlich langen Weg in Kauf nehmen müssen: Für eine Banane, eine Laugenstange, den Lieblingsjoghurt und eine kühle Cola läuft man so lange durch beide Geschosse, bis man gut drei Viertel des Ladens gesehen hat. (Und dann vermutlich die Pause rum ist.) Wer ausschließlich Bio kauft und die Cola durch einen Milchdrink ersetzt, kriegt das absurderweise in einem Bruchteil der Zeit hin.

Man habe „keinen Gourmettempel“ eröffnen wollen, sondern einen „Markt für jedermann“, hat Rüdiger Zurheide der „Lebensmittel Zeitung“ gesagt; und vielleicht ist genau das das größte Problem.

Weil Läden, die ein bisschen Discounter sein wollen, aber mit angeschlossener Champagner-Bar protzen, am Ende womöglich niemanden so richtig zufrieden stellen. Und weil Übersichtlichkeit auch im Jahr 2018 mindestens so wichtig ist wie großartiges Design. Jedenfalls wenn man darauf hofft, dass Kunden auch dann zum Einkaufen wiederkommen, wenn sie sich irgendwann an den Gewaltigkeiten satt gesehen haben.

Dass Zurheide dieses Wiederkommen nicht einmal mit einem eigenen Abholkonzept unterstützen will, gehört definitiv zu den größten Leichtsinnigkeit der Neueröffnung. Dabei böte die Innenstadtlage geradezu hervorragende Voraussetzungen dafür. Kunden mit stressigem Bürojob hätten sicher nichts dagegen, ihren Einkauf online zu ordern und nach Feierabend fertig kommissioniert abzuholen, in der gesparten Zeit könnten sie ja gleich zum Abendessen dableiben.

Man habe zwar einen Multichannel-Spezialisten eingestellt, hat Zurheide der „LZ“ erklärt,

„aber der kümmert sich erstmal um unseren Internetauftritt, Facebook und Twitter.“

Natürlich! Was gäbe es Wichtigeres, um zum Gelingen eines Großprojekts beizutragen, an dem nach eigenen Angaben die unternehmerischere Existenz des Betreibers hängt.

Und der in den kommenden Monaten den Beweis antreten muss, ob man auch mit einem Vorzeigesupermarkt erfolgreich sein kann, der ein paar erstaunliche Schwachstellen hat – sofern die mit ordentlicher Wattzahl und großer Selbstüberzeugung überstrahlt werden.

Fotos: Supermarktblog"

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