Während die Discounter Aldi und Lidl hochwertige Eigenmarken als Umsatzbringer entdeckt haben und Supermärkte wie Edeka und Rewe ihre Mittelmarken weiter stärken, hat sich Real für eine ungewöhnliche Taktik entschieden, um neue Kunden zu gewinnen: Die SB-Warenhaus-Kette will billiger werden. Und soviel kann man vorab sagen: designtechnisch ist die Mission ein voller Erfolg (womöglich aber mit unerwünschten Konsequenzen).
Seit kurzem liegen jedenfalls die ersten Produkte der neuen Discount-Eigenmarke “Ohne teuer” in den Regalen der Märkte. Die heißt eigentlich gar nicht so, offiziell hat sie nämlich keinen Namen, denn:
“Um Ihnen ausgewählte Produkte zu einer Top-Preisleistung anbieten zu können, haben wir bei unserer Marke auf jeden Schnickschnack verzichtet. Sogar auf den Namen.”
Auf den “ausgewählten Produkten” steht deshalb einfach drauf, was drin ist: “Spaghetti”, “Croissants”, “Orangen-Fruchtsaftgetränk”, “Hausmacher-Leberwurst”, “Toilettenpapier”, “Herrensocken”. Darunter heißt es jedes Mal: “exklusiv bei real,-”. Was genau die Metro-Tochter ihren Kunden damit sagen will, ist unklar: dass Artikel zum Niedrigpreis “exklusiv” bei ihr so hässlich verpackt sind vielleicht? Ja, tatsächlich. Auf Anfrage erklärt das Unternehmen:
“Mit der neuen Marke wagt real,- etwas völlig Neues. Denn die Marke ‘exklusiv bei real,-’ ist keine Reaktion auf den Wettbewerb, sondern ein proaktiver Schritt zur Schaffung einer Marke, wie es sie bisher nirgendwo im deutschen Einzelhandel gibt. Wir haben bei dieser Marke auf alles verzichtet, was nicht zwingend notwendig war. Teure Verpackungen, ein ausgefallenes Verpackungsdesign zum Beispiel.”
Ohne Zweifel ist “Ohne teuer” ein kleines Billigmeisterwerk: Tüten, Kartons und Plastikhüllen sind knallgelb bedruckt, die notwendigen Produktinformationen sind ein einer ausfransenden Schreibmaschinenschrift aufgedruckt, was hoffentlich kein Hinweis auf das Herstellungsdatum des Inhalts ist, und im Kleingedruckten auf der Rückseite – Zutaten, Zubereitung, Herkunft – nicht besonders leserlich.
Dabei handelt es sich natürlich nicht um einen Zufall. Offensichtlich hat Real ein Problem mit der Preiswahrnehmung: Viele Kunden halten die Kette für teuer. Was daran liegen könnte, dass sie es im direkten Vergleich zum Großflächen-Wettbewerber Kaufland auch ist.
Während Kaufland aber stetig zulegt (siehe auch Supermarktblog), sind bei Real die Umsätze zuletzt gesunken. Also muss wieder mehr Kundschaft in den Laden. Auch solche, die preisempfindlich ist. Und die lässt sich am besten mit einer Eigenmarke bedienen, die schon so aussieht wie das, was sie verspricht.
Dafür zerschießt sich Real im Laden sein komplettes Corporate Design: Die Preisschilder sind – genau wie die Verpackungen – knallgelb eingefärbt, von der Decke hängende Hinweistafeln ebenfalls mit der dann noch unleserlicheren Fetzschreibmaschinenschrift bedruckt.
Der witzig gemeinte “Ohne”-Ansatz wird konsequent durchgezogen. Über den Nudeln steht: “Ohne Serviervorschlag”, über dem Saft: “Ohne Obstdeko”, und über dem zweilagigen Toilettenpapier “Ohne Kamille”. Das bringt das Produktversprechen schon ganz gut auf den Punkt – es geht um nichts außer den Preis. Zum Start gibt es ein kleines Sortiment mit Basisprodukten. Ob dieses in den nächsten Monaten erweitert wird, hänge “auch von der Kundennachfrage ab”.
Bemerkenswert ist die Neueinführung vor allem deshalb, weil Real eigentlich schon eine Discount-Eigenmarke hat. Die heißt “Tip” (“Toll im Preis”), ist vielleicht ein bisschen in die Jahre gekommen, wird jedoch übers Marktradio weiterhin eifrig beworben: “Sparen Sie sich den Weg zum Discounter! Achten Sie auf unsere Marke Tip – Qualität zum Discountpreis!”, verrät eine freundliche Männerstimme, bevor die Kundschaft anschließend mit Phil Collins’ “Another Day in Paradise” beschallt wird.
(Kleiner Tipp: Weniger Phil Collins könnte die Kundenfrequenz von alleine drastisch erhöhen.)
Die bisherige Discount-Marke soll erstaunlicherweise nicht durch “Ohne teuer” ersetzt werden: “Tip-Produkte wird es auch in Zukunft geben”, heißt es in der Unternehmenszentrale.
Das macht Real nun zur einzigen deutschen Handelskette, die zwei warengruppenübergreifende Discount-Eigenmarken im Angebot hat. Was mindestens kurios ist. Vor allem, wenn sich die Initiative damit als Marketing-Gag entlarvt. Im Regal liegen “Tip” und “Ohne billig” nämlich oftmals nah beieinander, zum Beispiel die “Fusilli” (für 49 Cent), die in der gelben Variante bodenständiger “Locken” heißen und je Packung 250 Gramm mehr Inhalt haben (für 89 Cent). Wer die Grundpreise vergleicht, merkt : Die neue Billigmarke ist knapp teurer als die alte (0,98 Euro pro Kilo für “Tip”, 1,19 Euro pro Kilo für “Ohne billig”; bitte den Nachtrag weiter unten beachten).
Das gilt zugegebenermaßen nicht für alle Produkte, das Toilettenpapier gibt’s in beiden Varianten zum einheitlichen Preis. Aber bei Kunden, die sich die Mühe machen, Preise zu vergleichen – und das wird die Discount-Zielgruppe sicher eher tun – kommt dadurch schnell der Verdacht auf, Real könnte “Ohne teuer” dafür nutzen, die Preise seiner Discount-Linie zu erhöhen und das mit neuen Verpackungsgrößen und einem besonders reduzierten Design zu verschleiern.
Das ist irgendwie kein guter Ausgangspunkt, um neue Kunden für sich zu gewinnen. Real erklärt dazu auf Anfrage:
“Beim Preisvergleich müssen auch die Qualitäten genau betrachtet werden.”
Für den Kunden sind eventuelle Unterschiede auf Anhieb aber nur schwer feststellbar.
[Nachtrag: Real erklärt noch genauer: "Der von Ihnen genannte Artikel 'Tip Fusilli' enthält kein Ei. Aus diesem Grund kann dieser auch nicht mit den 'Fussili/Locken Hartweizenteigware mit Ei' unserer neuen Marke verglichen werden." Fusilli mit Ei kosten von "Tip" laut Real 1,30 Euro pro Kilo. Also: wenn Sie gründlich genug danach suchen.]
Und an noch was hat Real offensichtlich nicht gedacht: an die alten Kunden nämlich, die jetzt schon regelmäßig bei Real einkaufen, weil die Kette ein Qualitäts- und Vielfaltsversprechen liefert, das die neue Billigmarke hervorragend sabotiert. Alleine schon weil es im Ladenbild nicht sonderlich angenehm auffällt, wenn das Billigessen, das jetzt auch so aussieht, palettenweise in den Fluren aufgetürmt ist und das vermeintliche Gelb wie bei den Saftpackungen ins giftig Grünliche tendiert.
Zu Aktionen wie den gerade erst ausgerufenen “Italienischen Wochen”, als mit echt italienischen Produkten geworben wurde (“Das Gute essen”), passt das neue Billig überhaupt nicht.
Einen großen Gefallen tut Real sich mit seiner neuen Strategie eher nicht, weil die auch auf den Rest des Markts abstrahlt. Die Metro-Tochter muss aufpassen, dass “Ohne Schnickschnack” sie auf Dauer nicht ziemlich teuer zu stehen kommt.
Mit Dank für den Hinweis an Supermarktblog-Leser Wolfram M.
Fotos: Supermarktblog